CDU in Nordrhein-Westfalen Piep, piep, Rüttgers hat alle lieb

  • von Sebastian Christ
Jürgen Rüttgers gilt als Rächer der Rechtlosen auf Seiten der CDU. Während des Landesparteitags der CDU in NRW pflegte er sein Image - und trat heftig auf die am Boden liegenden Sozialdemokraten ein. Konkrete Antworten jedoch blieb er schuldig.

Robin Hood nahm es den Reichen und gab es den Armen. Jürgen Rüttgers gibt es den Armen. Und den Reichen. Und der Forschung. Und den Schulen. Und den Alten. Und den Jungen. Und natürlich den Familien. Sagt er selbst. Aber wem nimmt er es eigentlich?

Die Antwort darauf kann nur einer liefern: er selbst. Knapp 800 Menschen sind an diesem Samstag in die Dortmunder Westfalenhallen gekommen. Die CDU hat zu ihrem Landesparteitag geladen, und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident steht in lockerer Pose am Rednerpult: die linke Hand in der Hosentasche, mit der Rechten verprügelt er die Sauerstoffmoleküle im Saal. Insgesamt 30 Seiten umfasst das Manuskript, aus dem er liest. Die Sätze sind wie Verse niedergeschrieben, jede Zeile für sich, wie eine Predigt. Viele Beobachter erwarteten im Vorfeld, dass Rüttgers Stellung bezieht. Zu zentralen Projekten der Großen Koalition, oder den verschiedenen Steuermodellen, die im Gespräch sind. Um es gleich zu sagen: Rüttgers blieb die Antworten darauf schuldig. Statt eine klare Standortbestimmung vorzunehmen, pflegte der CDU-Politiker lieber sein Image als roter Schwarzer - und trat gleichzeitig nach Herzenslust auf die am Boden liegenden Sozialdemokraten ein.

Rüttgers: "SPD ist keine Volkspartei mehr"

"Die politische Landkarte in Deutschland hat sich grundlegend verändert. Unser Parteiensystem ist in einem Umbruch wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik", sagt Rüttgers. "Deutschland befindet sich in einer ganz neuen politischen Lage: Die SPD ist keine Volkspartei mehr. Es gibt nur noch eine Volkspartei, und das ist die CDU." Was wohl heißen soll, dass sich die SPD aus Sicht von Rüttgers nicht mehr auf Augenhöhe mit den Christdemokraten bewegt. Einige Lacher erntet er Minuten später, als er Krokodilstränen am Krankenbett der SPD vergießt. "Ich mache mir große Sorgen um die SPD", so Rüttgers. "Die SPD war eine große Partei. Und es bedrückt mich, den Niedergang der SPD mitzuerleben." So richtig nimmt ihm das Mitgefühl kaum jemand ab. Denn Rüttgers kann es nicht lassen, fast im selben Atemzug genüsslich aus der aktuellen Landtagswahl-Umfrage von Forsa zu zitieren: Die CDU kommt demnach auf 44 Prozent, und die SPD erreicht in ihrem Kernland nur noch 27 Prozent. Besser könnte es für die Christdemokraten kaum laufen.

Dass Rüttgers seine Rede formell unter das Motto "60 Jahre soziale Marktwirtschaft: Nordrhein-Westfalen im Aufbruch" gestellt hatte, geriet darüber fast in Vergessenheit. Und dass sich der Ministerpräsident mal wieder eher sozial als marktwirtschaftlich gerierte, ist freilich auch längst nichts Neues mehr. In Dortmund forderte Rüttgers unter anderem zusätzliche Gelder für: Schulgebäude ("Lernen braucht Platz"), Energieforschung ("Wer glaubt, dass wir nach dem rot-grünen Ausstieg aus der Atomkraft auch auf die Kohle verzichten können, der lebt im Wolkenkuckucksheim!"), Bildung ("Das Bildungssystem darf nicht ökonomisiert werden"), Arbeitslose ("Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass das Schonvermögen von 250 Euro pro Lebensjahr auf 700 Euro erhöht wird"), Rentner ("Wer ein Leben lang vollzeitbeschäftigt war, muss eine Rente oberhalb der Armutsgrenze erhalten") und Familien ("Wir wollen die Familien mit mehreren Kindern fördern"). Die soziale Marktwirtschaft müsse vor dem "Turbokapitalismus" geschützt werden, es müsse Spielregeln auf den internationalen Märkten geben. Da nickt sogar die Kostümträgerin in der dritten Reihe.

Was er damit meinte? Unklar

Nur ein einziges Mal ließ Rüttgers durchblicken, dass er auch sparen will. "Die Große Koalition zwingt zu Kompromissen", sagt er. "Das ist in jeder Koalition so. Aber man muss aufpassen, dass Kompromisse nicht zu teuer sind. Zu teure Kompromisse hält auf die Dauer niemand aus." Was er damit allerdings nun genau meinte? Das blieb unklar.

Programmatischer Schwerpunkt des Parteitags war der demografische Wandel in Nordrhein-Westfalen. Das Plenum verabschiedete dazu einen Leitantrag, in dem unter anderem eine kinderfreundliche Politik und mehr Lebensqualität für ältere Menschen gefordert werden. Bei der Diskussion melden sich fast nur Politiker jenseits der 50 zu Wort.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Schwenk: JU-Chef Mißfelder wieder an der Seite der Senioren

Der jüngste Redner war noch Philipp Mißfelder, der das Papier zusammen mit dem Vorsitzenden der Senioren Union vorstellte. "Ich bin ja mittlerweile der Senioren-Unions-Beauftragte", sagte der 28-Jährige Vorsitzende der Jungen Union. Einst hatte der Nachwuchspolitiker für Aufsehen gesorgt, als er Menschen über 85 das Recht auf ein zuzahlungsfreies künstliches Hüftgelenk streichen wollte. "In der Justiz würde das wohl tätige Reue heißen", sagte er.

Jürgen Rüttgers wird es gefreut haben. In seinem Landesverband gilt schließlich schon lange: Geben ist christdemokratischer denn Nehmen.