Fried – Blick aus Berlin Christian Lindner und die Angst vor dem bösen Wort mit S

Finanzminister Christian Lindner, ein Mann mit Krawatte und Anzug, dreht sich auf einem Stuhl um
Es gibt da eine Silbe, die Finanzminister Christian Lindner nur äußerst ungern verwendet. Setzt er sie doch mal ein, dann nur, um sie aus der Welt zu schaffen. Stern-Kolumnist Nico Fried hat genau hingehört. 
© dts Nachrichtenagentur / Imago Images
Finanzminister Lindner muss sparen, streichen, kürzen. Doch er spricht es nicht aus. Seine Vermeidungsstrategie ist mitunter atemberaubend.

Christian Lindners Wirken wird viel zu wenig gewürdigt. Generell leben Finanzminister und FDP-Vorsitzende häufig mit diesem Defizit. Wenn einer dann auch noch beides gleichzeitig ist, kommt es doppelt hart. Hier soll Lindner nun mal eine Anerkennung zuteilwerden, die er sich wirklich verdient hat. Und zwar für die Kreativität, mit der er seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse das Wort "sparen" und andere fiese Verben vermeidet.

Lindner sagt nämlich nicht, es müssten 17 Milliarden Euro im Haushalt für 2024 eingespart werden. Er sagt, "der Handlungsbedarf" liege bei 17 Milliarden Euro. Er sagt nicht kürzen, sondern: "Wir werden mit weniger Geld wirksamere Politik machen müssen." Er sagt nicht streichen, sondern: "Wir werden uns mit drei großen Kostenblöcken beschäftigen müssen." Oder: "Da werden wir schauen, wie man treffsicherer werden kann." Oder: "Es gibt zahlreiche Subventionen, bei denen zu fragen ist, ob sie ihre Ziele tatsächlich erfüllen oder nicht aus der Zeit gefallen sind."

Wenn Lindner die Buchstabenkombination "spar" doch einmal benutzt (und er nicht über einen Koalition-spar-tner spricht), dann setzt er die verachtete Silbe nur ein, um sie aus der Welt zu schaffen – so wie neulich, als er über das Bürgergeld redete: "Mir geht es dabei nicht zuerst um Einsparungen für den Staat, sondern um Gerechtigkeit." Ach so, na dann! Lindner bereitet die Bürger auf das Sparen vor wie ein Taxifahrer, der auf eine Mauer zurast und seinen Fahrgast mit den Worten beruhigt, gleich um die Ecke gebe es ja eine Straßenbahnhaltestelle.

Vernebelndes Geschwafel

Jüngst im Bundestag hat sich Lindner in seiner Spar-Sparsamkeit selbst übertroffen. Das war, als er einen Nachtragshaushalt für 2023 einbrachte, den er sich gern ersp…, Pardon, geschenkt hätte. Zunächst, vielleicht um die Spannung zu steigern, sagte er einen finanzpolitischen Allerweltssatz: "Wir werden auf der Ausgabenseite umschichten." Diese Formulierung, eigentlich unter seinem Niveau, wäre womöglich sogar Olaf Scholz noch eingefallen. Doch dann – Achtung, anschnallen! – fügte Lindner noch etwas hinzu: "Dafür, dass wir Zukunftsinvestitionen und bedeutende Vorhaben der Koalition realisieren, werden wir andere, überkommene, heute nicht mehr notwendige Ausgaben depriorisieren."

Schau an. Depriorisieren also. Bei aller Begeisterung über Lindners Sprachreichtum wird man hier innehalten und auf der Gedankenseite mal umschichten müssen. Der Minister drückte sich da in einer Weise aus, mit der die Grenze zwischen Expertise suggerierender Fachsprache und Unannehmlichkeiten vernebelndem Geschwafel so rückstandslos aufgelöst wird wie mancher Schattenhaushalt der Ampel nach dem Karlsruher Urteil. Anders gesagt: Wer so geschwollen daherredet, gerät in Verdacht, seine Zuhörer für dumm zu verkaufen.

Als Christian Lindner noch jünger war, als er heute immer noch wirkt, sagte Gerhard Schröder in seiner Agenda-Rede: "Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen." Da wusste man, woran man war. Und Schröder hat Wort gehalten, bis er zweieinhalb Jahre später nicht mehr Kanzler war.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Ob Lindner in zweieinhalb Jahren noch Finanzminister ist, erscheint offen, freundlich formuliert. Gewiss aber wird nicht nur der nächste Haushalt, sondern auch die Art, wie er davon redet, mitentscheiden, ob genug Wähler den Verbleib der FDP im Bundestag nicht allzu sehr depriorisieren.

Erschienen in stern 50/23