Corona-Pandemie Die Inzidenz steigt, die Impfquote nicht – wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Arbeit als Leiter des Corona-Krisenstabs, Herr Breuer?

Generalmajor Carsten Breuer leitet den Corona-Krisenstab
"Der Krisenstab hat nach wie vor noch seine Aufgabe", sagt Generalmajor Carsten Breuer im Gespräch mit dem stern.
© Jens Kalaene / DPA
Der Corona-Krisenstab warnt die Regierung vor den hohen Fallzahlen. Trotzdem lässt sie die Schutzmaßnahmen auslaufen. Warum klafft zwischen Wissen und Handeln so eine große Lücke? Krisenstabschef Carsten Breuer hat darüber mit dem stern gesprochen.

Es scheint, als neige sich die Pandemie dem Ende entgegen. Die Sonne scheint, die Temperaturen werden von Tag zu Tag frühlingshafter und die Bundesregierung lässt die Corona-Schutzmaßnahmen auslaufen. Dabei sagen die Statistiken des Robert Koch-Instituts etwas ganz anderes. Seit Wochen steigen die Fallzahlen an und haben jüngst neue Rekorde seit Pandemiebeginn erreicht. Erstmals zählt das RKI 1,5 Millionen Fälle innerhalb einer Woche.

Dem wirksam entgegenzutreten und den Schutz der Bevölkerung zu koordinieren, ist Aufgabe des Corona-Krisenstabes. Seit November 2021 wird er von Generalmajor Carsten Breuer geleitet. Im Gespräch mit dem stern hat er über den bevorstehenden Herbst, seine Corona-Infektionen und Ostergeschenke gesprochen.

Herr Generalmajor Breuer, wie sehr müssen Sie gerade angesichts des Ukraine-Krieges um die Aufmerksamkeit der Bundesregierung für Ihren Aufgabenbereich kämpfen? Fällt die Pandemiebekämpfung unter den Tisch?

Ich glaube nicht, dass sie unter den Tisch fällt. Und es geht auch nicht darum, dass zwei Krisen miteinander konkurrieren. Wir Soldaten sind so ausgebildet, dass wir mehrere Lagen durchaus parallel sehen und damit umgehen können. Es kommt jetzt natürlich darauf an, die Coronakrise wegen des Angriffs auf die Ukraine nicht aus dem Blick zu verlieren. Wenn ich mir die Beschlüsse und Diskussionen ansehe, habe ich aber auch nicht das Gefühl, dass dies geschieht.

Wie lange wird es den Corona-Krisenstab noch geben, wenn die Schutzmaßnahmen abgeschafft werden?

Der Krisenstab hat nach wie vor noch seine Aufgabe. Wir geben täglich eine Lagebeurteilung ab und wenn ich mir die Inzidenzen von heute und der letzten Woche anschaue, wage ich zu behaupten, dass sich die Situation in den kommenden Wochen nicht nennenswert verbessert.

Aber wie lange wird es den Krisenstab noch brauchen? Können Sie einen Zeitraum nennen oder sogar ein Datum?

Gegenfrage: Wie lange wird diese Krise noch dauern? Ein Krisenstab ist immer dazu geeignet, einen besonderen Schwerpunkt zu setzen und die Informationen und die Koordinierung von Maßnahmen zu verdichten. Solange uns diese Krise noch so akut beschäftigt, brauchen wir auch einen Krisenstab. Überflüssig sind wir bestimmt nicht.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wie enttäuschend ist für Sie die Entscheidung der Bundesregierung, die Maßnahmen abzuschaffen? Haben Sie das Gefühl, der Ernst der Lage wird verkannt, obwohl Sie ihn täglich vor den Verantwortlichen darstellen?

Als ich im November den Krisenstab übernommen habe, hat der Bundeskanzler sehr klar gesagt, worin unsere Aufgabe besteht. Er wollte, dass wir uns die Impf- und Testlogistik ansehen, wir uns um die Patientenverlegung in Deutschland kümmern und vor allem auch die Nachhaltigkeit unserer Maßnahmen in den Blick nehmen. Das waren die ersten vier Handlungslinien. Dazu kamen die kritische Infrastruktur und die Kommunikation. Das ist schon ein beachtliches Spektrum, auf das wir uns konzentrieren.

Und Nachhaltigkeit bedeutet?

Wie sieht es im nächsten Herbst aus? Wie kann man dafür sorgen, dass wir auch dann gut vorbereitet sind? Sind die Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen, richtig und wie kommen wir damit durch den Herbst? Ich kann angesichts der aktuellen Lage aber nur immer wieder darauf hinweisen: Wir haben Corona längst nicht hinter uns gelassen, auch wenn wir das gerne glauben würden. Und ich kann nur jeden dazu ermuntern die Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind. Mit Blick auf den Herbst rate ich dazu, sich impfen zu lassen, um auf die nächste Welle vorbereitet zu sein.

Der Bundeskanzler hatte hierfür mehrere ambitionierte Ziele formuliert. Das Ziel von 30 Millionen Impfungen bis zum Jahresende 2021 wurde erreicht, das nächste Impfziel nicht. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Arbeit in Ihren ersten 100 Amtstagen?

Als das Impfziel festgelegt wurde, habe ich geschluckt und mich gefragt, ob das wirklich realistisch ist. Das war schon ambitioniert. Aber durch enorme Anstrengung und große Solidarität bei denen, die die ganze Infrastruktur aufgebaut haben, und denen, die sich impfen ließen, haben wir es geschafft, dass wir die 30-Millionen-Marke erreicht haben. Es erfüllt mich mit Stolz, dass wir jetzt eine Impfinfrastruktur haben, in der sich heute jeder unkompliziert impfen lassen kann. Anders als im Dezember muss man nicht mehr auf einen Termin warten.

Aber das scheint gerade kaum jemanden zu interessieren. Beim Impfen geht es nicht voran. Wieder einmal.

Wenn sich die Menschen nicht impfen lassen wollen, können wir sie nur mit Informationen überzeugen. Wir machen dies auch in unserer Kampagne. Aber wir müssen wieder deutlicher machen, warum es jetzt wichtig ist, sich impfen zu lassen. Zuletzt habe ich mit einem Bekannten telefoniert, der sich nicht boostern lassen wollte. Er wolle auf einen angepassten Impfstoff warten, sagte er. Ich habe ihn daran erinnert, dass er die ersten beiden Impfungen gut überstanden hat und es doch bessere wäre, jetzt geschützt zu sein, als zu warten und sich einem Risiko auszusetzen.

Konnten Sie ihn überzeugen?

Wir haben ein wenig diskutiert. Am Ende hat er dann gesagt, er werde die dritte Impfung seiner Frau zu Ostern schenken.

Viele Menschen wollen sich aber gerade nicht impfen lassen, weil sie sehen, dass auch doppelt und dreifach Geimpfte an Corona erkranken. Wie wollen Sie die überzeugen?

Ich selbst habe mich zweimal infiziert – einmal, bevor man sich überhaupt impfen lassen konnte, und zuletzt noch einmal vor zwei Wochen. Das war in beiden Fällen nicht ganz leicht, aber ich habe festgestellt, dass mein Verlauf nach der Impfung deutlich milder war. Das ist zwar meine persönliche Erfahrung, aber man kann es auch statistisch sehen. Die Impfung schützt – zwar nicht vor Erkrankung, aber vor einem schweren Verlauf und dem Tod. Ich finde das sind genügend Argumente, die zum Impfen motivieren sollten.

Wie Ihr Bekannter warten bestimmt noch viele andere auf einen angepassten Impfstoff. Haben die Impfstoffhersteller mit ihrem Versprechen, ein neues Präparat zu liefern, die politische Kommunikation boykottiert?

Wenn Sie es so zuspitzen, dann hat uns das Virus die Kommunikationsstrategie oder die Kommunikation erneut erschwert. Es ist klar, dass auch ein Impfstoffhersteller reagieren muss, wenn der Wirkstoff nicht mehr so wirkt, wie man sich das überlegt hat. Aber das ist ein Kennzeichen dieser Pandemie. Wir lernen jeden Tag über das Virus dazu.

Das Neue an Ihrem Krisenstab ist, dass er direkt im Kanzleramt angesiedelt ist. Ihr Vorgänger war noch dem Gesundheitsministerium unterstellt. Haben Sie einen Vorteil dadurch?

Den Corona-Krisenstab im Kanzleramt zu haben, macht es für alle Beteiligten leichter, Maßnahmen durch- und umzusetzen. Die Koordinierung, zwischen den Ministerien und den Bundesländern, war vorher deutlich schwieriger.

Sie sitzen so eng mit der Regierung zusammen, mahnen weiter zur Vorsicht, während die Regierung alle Maßnahmen aufhebt. Warum klafft zwischen Wissen und Handeln so eine große Lücke?

Minister Lauterbach und ich unterscheiden uns nicht in unserem Blick auf den Herbst und die aktuelle Lage. Wir stimmen uns ab, wir informieren uns gegenseitig. Dass man in der Bevölkerung gerne etwas anderes hört und sich nach einer sommerlichen Normalität sehnt, verstehe ich. Aber die aktuelle Bedrohung durch das Virus können wir nicht ignorieren.

Bei der Bevölkerung kommt das aber immer weniger an.

Ich sehe das natürlich. Aber jeder kennt die Zahlen und sieht die aktuelle Lage in Deutschland. Letztendlich ist es die Aufgabe eines jeden selbst, richtig damit umzugehen. Ich persönlich gehe auch jetzt nur mit Maske in den Supermarkt und trage sie auch im Zug. Aber jeder muss selbst abwägen, ob er eher zu Team Vorsicht gehört oder ob er ein unnötiges Risiko eingehen will.

Wo würden Sie die Bundesregierung einordnen? Im Team Vorsicht oder Team Freiheit?

Jeder hier hat die aktuelle Lage, den bevorstehenden Sommer und vor allem den Herbst im Blick. Das wird sehr genau beobachtet und bewertet. Ist es nicht viel wichtiger uns selbst zu fragen, welchem Team wir angehören wollen?

Momentan sieht es eher nach weiteren Lockerungen aus, Ende Mai sollen die kostenlosen Tests auslaufen. Wie stehen Sie dazu? Und bleibt die Infrastruktur bestehen, damit wir im Herbst notfalls wieder kostenlos testen können?

Das ist ähnlich wie mit den Impfzentren. Die werden wir im Herbst brauchen, vor allem dann, wenn ein neues Virus und eine neue Welle kommen. Wenn wir die Zentren in einer bestimmten Phase nicht brauchen, dann kann man sie schlafen legen, aber immer so, dass man sie innerhalb kürzester Zeit wieder aufleben lassen kann.

Sie rechnen also im Herbst mit einer neuen Variante?

Ich bin jemand, der Worst Case Szenarien denkt. Klar ist, dass es eine weitere Welle geben wird. Man weiß nur noch nicht genau, wie sie sich ausprägen wird. Ich stelle mich immer auf den schlimmsten Fall ein – was nicht bedeuten muss, dass es auch der wahrscheinlichste Fall ist. Aber wenn ich für das Worst Case Szenario gerüstet bin, kann ich mit allem anderen auch umgehen.