De Maizière und Internet-Sicherheit Ein Mann mit zwei Ansichten zum selben Problem

Von Oliver Fuchs
Wie steht's um die Netz-Sicherheit? An einem Tag hat Innenminister Thomas de Maizière zwei Meinungen zur Schnüffelei des Verfassungsschutzes in sozialen Netzwerken. Das ist verständlich, aber hilflos.

Auf der Fassade der Humboldt-Box in Berlin prangt das Plakat für den neuen "X-Men"-Film. Darin reist ein Mutant in die Vergangenheit, um den alles auslöschenden Krieg der Menschen gegen die Mutanten zu verhindern. In der Box geht es um einen anderen Krieg. Innenminister Thomas de Maizière hält eine Grundsatzrede über Sicherheit im Internet.

Am Morgen erst hatte er im ARD-Morgenmagazin die Ausspähung des Datenverkehrs in sozialen Netzwerken durch den Verfassungsschutz verteidigt. Er hatte aus einer Position der Stärke heraus gesprochen: als Vertreter des Deutschen Staates, mit einer beachtlichen Gewalt über das Leben seiner Bürger. In der Humboldt-Box klingt das anders. "Die Politik soll sich nicht stärker machen, als sie wirklich ist", sagt de Maizière, dessen Zuhörerschaft nun zu weiten Teilen aus Vertretern internationaler IT-Konzerne besteht. Google, PayPal, Microsoft. Das ist eine andere Perspektive als am Morgen. Das ist im besten Fall ein Dialog auf Augenhöhe. Und das auch nur, wenn sich die Interessen decken.

Staat und Industrie im Schulterschluss

Hier beim Jahreskongress des Vereins "Deutschland sicher im Netz" (Dsin) decken sie sich. Das ist ein Zusammenschluss aus 17 Unternehmen und Verbänden, die sich zum Ziel gesetzt haben, "das Sicherheitsbewusstsein von Verbrauchern und Unternehmen in der digitalen Welt durch konkrete Hilfestellungen zu verbessern." Schirmherr des Verbandes ist das Innenministerium und damit de Maizière. Facebook ist auch Mitglied. Konkret führt der Verband beispielsweise Studien über die Sicherheitsvorkehrungen in Deutschen Unternehmen durch und berät sie beim Umgang mit Cloud-Diensten.

Das ist durchaus löblich. Besonders wenn man den Zahlen glauben schenkt, die der Verein für seine aktuelle Sicherheitsstudie zusammengetragen hat. Dsin hat 1500 Unternehmen untersucht und festgestellt, dass nicht einmal die Hälfte davon ihren E-Mail-Verkehr schützen. Trotz NSA-Affäre ist das sogar ein Rückschritt. Vor drei Jahren waren es immerhin noch die Hälfte.

"Kluge Standortpolitik und modernen Patriotismus"

Die Kosten, die Internetkriminalität verursacht, sind enorm. Laut dem ebenfalls anwesenden Reinhard Posch vom österreichischen Zentrum für sichere Informationstechnologie ist der Schaden durch virtuelle Kriminalität mittlerweile sogar höher als der durch "analoge". Da ist es verständlich, dass Industrie und Staat gegen Internet-Kriminalität den Schulterschluss üben.

Beim anderen Gegner hingegen ist es vielleicht auch eine gewisse Hilflosigkeit, die Staat und Industrie zusammenrücken lässt. Gegen die Spionage der amerikanischen Geheimdienste können beide nicht viel auszurichten. Ein Beispiel: Der Vorsitzende von "Deutschland sicher im Netz" ist Christian P. Illek, der Geschäftsführer von Microsoft Deutschland. Seine Mutterfirma hat vor einem guten Monat vor einem amerikanischen Gericht eine Schlappe erlitten. Dieses urteilte, dass der Konzern der NSA auch Daten liefern müsse, die auf Europäischen Servern liegen. Im konkreten Fall ging es um einen Server in Irland. Für Microsoft ist der Fall damit nicht abgeschlossen. "Wir geben keine Daten unserer europäischen Cloud-Kunden an amerikanische Geheimdienste", kommentierte ein Sprecher von Microsoft Deutschland den Fall auf Anfrage der "Welt". Das Urteil werde weitergezogen.

Für die Cloud-Anbieter geht es dabei um viel Geld. Denn wenn Unternehmen ihre Daten bei den Anbietern nicht mehr sicher wähnen, werden sie abspringen. Für Deutschland geht es um die Verteidigung der Daten-Hoheit. So kommt es, das de Maizière innerhalb weniger Stunden einmal in Anspruch nimmt, auf Facebook Daten zu sammeln, und einmal mit Facebook gegen Datenklau kämpft. Einmal nennt er das Verfassungsschutz und einmal "kluge Standortpolitik und modernen Patriotismus". Alles eine Frage der Perspektive. Sicher ist nur: Im echten Leben gibt es keine Zeitmaschine. Der Krieg um Daten ist bereits ausgebrochen. Aber eben mit wechselnden Fronten.