Drogenbericht 2008 "Die Nichtrauchergesetze sind ein Meilenstein"

Immer mehr Jugendliche verabschieden sich regelmäßig für die Dauer eines Rauschs vom Alltag. Zu dieser Erkenntnis kommt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing. Im Interview mit stern.de erklärt sie, wie die Politik Jugendliche schützen will.

Es ist ein Zahlenwerk des ungesunden und manchmal sogar höchst gefährlichen Genusses von Alkohol, Zigaretten, Drogen: der Suchtbericht 2008. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, sprach mit stern.de über trinkende, kiffende und spielsüchtige Jugendliche - und warum die Bundesländer bei den Nichtrauchergesetzen streng bleiben sollten.

Frau Bätzing wie schlimm steht es um den Drogenkonsum der Jugendlichen?

Was die Erstkonsumenten von illegalen Drogen angeht, haben wir einen Rückgang, zum dritten Mal in Folge, das ist sehr erfreulich. Was uns Sorge macht, ist der exzessive Alkoholkonsum von Jugendlichen. Der ist stark gestiegen: von 34 Gramm auf 50 Gramm Alkohol pro Woche.

Das ist fast eine Verdoppelung. Woran liegt das?

Das hat verschiedene Ursachen. Es ist bei uns sehr leicht, an Alkohol heran zu kommen. Das Jugendschutzgesetz wird nicht so eingehalten wie es wünschenswert wäre. Ein dritter Punkt ist die Alkoholwerbung. Diese hat einen massiven Einfluss auf Kinder und Jugendliche. Und der vierte Punkt ist das Verhalten der Gesellschaft, die manchmal mangelnde Vorbildfunktion. Alle diese Gründe zusammen bewirken einen verstärkten Alkoholkonsum bei Kindern und Jugendlichen.

Wie wollen Sie das ändern?

Mein Ziel ist ein Mix aus verschiedenen Maßnahmen: Prävention auf der einen Seite, Gesetze auf der anderen. Das heißt: Die Gesetze, die wir haben, wie das Jugendschutzgesetz, müssen besser eingehalten werden. Die Selbstregulierung im Bereich der Werbung muss so verbessert werden, dass man auch tatsächlich von einer Selbstregulierung sprechen kann. Außerdem müssen wir einen bewussteren Umgang der Menschen mit Alkohol erreichen. Wir wollen verantwortungsvollen, maßvollen Alkoholkonsum. Das schaffen wir nur, wenn wir auch die Köpfe der Erwachsenen erreichen.

Wie soll das gehen?

Eltern und Erwachsene müssen durch ihren maßvollen Alkoholkonsum gute Vorbilder sein.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Es gab auch den Vorschlag, an Tankstellen nachts den Alkoholverkauf zu verbieten, um Jugendliche davon fernzuhalten.

Das ist ein ordnungspolitisches Instrument für die Kommunen, das sie durchführen und worüber sie selber bestimmen können. Auch da würden wir aber das Problem schon in den Griff bekommen, wenn wir das Jugendschutzgesetz besser kontrollieren würden, dann müssten wir gar nicht über Verkaufsverbote diskutieren.

Und überprüfen würden Sie das Gesetz mit jugendlichen Testkäufern?

Ja, die Testkäufe durch Jugendliche sind ein Mittel, um die Einhaltung des Jugendschutzes besser zu kontrollieren. Leider ist eine entsprechende Gesetzesinitiative auf Eis gelegt, weil es massive Widerstände gab, die aber auf Missverständnissen beruhten. Viele haben geglaubt, es gehe um acht- oder neunjährige Kinder. Das war nie beabsichtigt. Es war vorgesehen, 15, 16, 17 Jahr alte Jugendliche als Testkäufer zu schulen und nur in Begleitung Erwachsener loszuschicken.

Sie sind also eindeutig für jugendliche Testkäufer?

Wenn es sich um 15- bis 17-Jährige handelt, würde ich mir diese Möglichkeit wünschen. Das Vorhaben liegt auf Eis, ist aber noch nicht völlig vom Tisch.

Sie haben sich auch die so genannte "nicht Stoffgebundene Sucht" angesehen. Landläufig heißt das Online-Sucht. Ist das tatsächlich ein Problem?

Die Online-Sucht ist ein zunehmendes Phänomen. Belastbare Zahlen, wie viele Menschen davon betroffen sind, liegen allerdings noch nicht vor. Wir wissen aber aus den Rückmeldungen von Beratungsstellen, dass die Online-Sucht stark zugenommen hat.

Was ist Online-Sucht eigentlich?

Es handelt sich dabei nicht um einen Jugendlichen, der zwei Stunden am PC "World of Warcraft" spielt, sondern es bedeutet, dass Jugendliche sich viele Stunden des Tages völlig abkapseln von der realen Welt. Sie verlieren die Balance zwischen realer und virtueller Welt, haben kaum noch echte Freunde, halten sich nur noch im Online-Rollenspiel oder in anderen virtuellen Welten auf. Das soziale Umfeld und der gewohnte Alltag gehen mehr und mehr verloren, eventuell werden die schulischen Leistungen schlechter oder er schwänzt die Schule. Das sind mögliche Anzeichen für eine Sucht.

Was wollen Sie dagegen tun?

Es gilt hier, Medienkompetenz zu vermitteln. Es gilt, die Eltern aufzuklären und sie für das zu interessieren, was ihre Kinder tun. Außerdem muss die Behandlung und Beratung ausgebaut werden, weil die bisherigen Suchtberatungsstellen damit noch keine Erfahrung haben.

Wollen Sie auch Spiele verbieten, Chatrooms kontrollieren?

Verbote sind nur begrenzt erfolgreich, weil man die sehr leicht umgehen kann. Im Einzelfall mag das helfen, wir brauchen aber in jedem Fall mehr Bewusstsein, mehr Medienkompetenz.

Zu den Erwachsenen. Picken wir uns mal das Rauchverbot in öffentlichen Räumen heraus. In den Kneipen wird fröhlich weiter geraucht, die Gerichte kassieren eine Regelung nach der anderen. Ein Flop, oder?

Die Nichtrauchergesetze sind ein Meilenstein. Das wir es geschafft haben, dass bundesweit in allen öffentlichen Einrichtungen und im öffentlichen Personennahverkehr nicht geraucht werden darf, das ist sehr gut. Was die Nichtraucherschutzgesetze der Länder, die Gaststätten angeht: Ab dem Juli dieses Jahres werden die Nichtraucherschutzgesetze in allen Bundesländern auch mit Ordnungsgeldern belegt sein. Mit den Bußgeldern wird auch die Akzeptanz weiter steigen.

Außer bei all den Ausnahme-Fällen, den Einraum-Eckkneipen und dem Oktoberfest in Bayern.

Ja, die Ausnahmen sind genau das Problem. Sie führen zu Wettbewerbsverzerrungen, sie führen zu Umsatzrückgängen, das gilt es zu verhindern. Deshalb appelliere ich an die Bundesländer: Weicht Eure Nichtraucherschutzgesetze nicht weiter auf. Wenn wie eine Akzeptanz wollen, wenn wir den Nichtraucherschutz wollen, dann sollte er so klar und deutlich wie möglich sein. Nur dann wird er akzeptiert werden, wie wir es in Irland oder in Italien sehen, wo die Gastronomen absolut hinter diesen Gesetzen stehen und es keine Umsatz-Rückgänge gibt.

Sie sind also für ein komplettes Rauchverbot in öffentlichen Räumen?

Das wäre die logische Regelung: Keine Ausnahmen mehr, dann gilt gleiches Recht für alle, für den Einraum-Kneipenwirt genauso wie die Fünfraum-Speiserestaurantbesitzer. Das Passivrauchen ist ja überall gleich gefährlich.

Interview: Marcus Müller

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