Als der enge Mitarbeiter lange mit seinem Chef telefoniert hatte, stand seine gesundheitliche Diagnose eindeutig fest: "Wolfgang Schäuble ist wieder total fit." Der Bundesfinanzminister hatte ihn aus dem Krankenhausbett mit einer wahren Flut an regierungsamtlichen Aufträgen eingedeckt. Das war am vergangenen Mittwoch.
Einen Tag zuvor hatte auch die Kanzlerin vor der CDU/CSU-Bundestagsfraktion fast wortgleich Entwarnung gegeben. Sie habe soeben mit Schäuble telefoniert, sagte sie, und befand dann ebenfalls: "Er ist fit!" Vor allem die christdemokratischen Männer staunten, wie überzeugend die Frau, die sie zuweilen gerne auch mal "Mutti" nennen, bei dieser Gelegenheit genau diese Mutti-Rolle gab: "Ich habe ihm befohlen, dass er sich jetzt über den Vatertag mal wirklich schont." Das Wort "befohlen" fiel tatsächlich. Und dann sagte Angela Merkel ihm noch, sie wolle ihn nächste Woche wieder so fit sehen, wie bei seinem letzten Auftritt im Bundestag. Dabei hatte Schäuble am Freitag vergangener Woche in der Debatte über die Finanzhilfen für Griechenland einen überzeugenden rednerischen Auftritt gehabt.
Mit einem einzigen Wort fegte Schäubles engste Umgebung gegenüber stern.de die Meldung der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" vom Tisch: "Quatsch." Schäubles Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen sei "nur noch eine Sache von wenigen Tagen", hatte es darin geheißen. Eine zusätzliche Rückfrage im Kanzleramt bestätigte das eindeutige Dementi. Weil es in der Meldung auch geheißen hatte, dass Innenminister Thomas de Maizière sein Nachfolger werde und für dessen Ministeramt wiederum der NRW-Wahlverlierer Jürgen Rüttgers ein "denkbarer Kandidat" sei, wurde von Merkel sehr nahe stehenden Mitarbeitern vermutet, dass die Meldung ein Versuch der nordrhein-westfälischen CDU sei, Rüttgers auf einen akzeptablen Posten in Berlin abzuschieben.
Keine politische Entfremdung gegenüber Merkel
Zwar ist offiziell noch immer ungeklärt, weshalb Schäuble an den Beratungen der EU-Finanzminister über ein Rettungspaket für finanzschwache Euro-Länder in Brüssel nicht hatte teilnehmen können und bei der anschließenden Kabinettsitzung gefehlt hatte. In der CDU ist von einem anaphylaktischen Schock die Rede. Darunter verstehen Ärzte eine starke allergische Reaktion auf bestimmte Medikamente, durch die es zu einer lebensgefährlichen Störung der Blutzirkulation kommen kann. Vor Brüssel hatte Schäuble ein neues Medikament eingenommen. Insofern sei eine Wiederholung des Vorfalls jetzt vermeidbar, heißt es in Schäubles Umgebung.
Als völlig absurd gelten Spekulationen, dass es zwischen ihm und Merkel zu einer politischen Entfremdung gekommen sei. Vielmehr könne man davon ausgehen, dass die Kanzlerin auf keinen Fall auf die parteiübergreifende Autorität dieses erfahrenen Politikers verzichten wolle. Denn im Kanzleramt geht man davon aus, dass es in der CDU in den kommenden Monaten zu intensiven Diskussionen über den politischen Kurs kommen wird. Am Montagabend fand in der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin ein Treffen konservativer CDU-Politiker statt. Verabredet worden ist dort, Merkel auf dem CDU-Bundesparteitag im November in Karlsruhe zurück auf klar konservativere Positionen zu zwingen, unter anderem auf den Verzicht des flächendeckenden Ausbaus der Kinderbetreuungsplätze. Politische Rückendeckung hat die Verabredung durch die CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch, Stanislaw Tillich und Stefan Mappus. In dieser kommenden Debatte über den künftigen Kurs wolle Merkel auf keinen Fall auf Schäuble verzichten.
"Der Mann ist kein Schwein"
Die Kanzlerin vertraut außer auf die finanzpolitische Sachkompetenz weiterhin auf die absolute Loyalität Schäubles ihr gegenüber. Sie sei vergleichbar mit jener, die er einst Kanzler Kohl bis zum letzten Amtstag gewährt habe. Kaum ein Zufall dürfte es sein, dass in diesem Zusammenhang in Berlin folgende Begebenheit erzählt wird: Im Frühjahr 1998 bedrängten bei einem diskreten Abendessen in München neun Vorstandsvorsitzende von Dax-Konzernen Schäuble. Er müsse unbedingt für den Sturz von Kohl sorgen. Schäuble antwortete kühl: "Mit mir nicht, meine Herren." Resignierter Kommentar eines der Teilnehmer: "Der Mann ist eben kein Schwein."