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"Fridays for Future" Klima-Proteste: Die Entscheider aus der Politik verspielen gerade eine historische Chance

Eckart von Hirschhausen trifft die "Fridays for Future"-Aktivisten und Klimaforscher Mojib Latif.
Eckart von Hirschhausen: Hallo, ich bin heute hier beim stern für stern Gesund Leben unterwegs, weil ich mich als Arzt dafür interessiere, warum wir bisher in Deutschland so wenig darüber nachdenken, wie Klimawandel und Gesundheit zusammenhängen. Kein Mensch sucht sich die Luft aus, die wir einatmen. Ein Feinstaubpartikel fragt auch nicht: „Bist Du privat versichert oder Kasse?“. Kein Mensch kann sich seine Außentemperatur selber wählen – unsere Körpertemperatur lässt aber nur zu, dass wir bis 36 Grad Wärme abgeben. Es gibt also Grenzen unserer Körperlichkeit, die massiv in Mitleidenschaft geraten, wenn die Erde und das Klima sich weiter erwärmt und deswegen ist es ein Thema, was uns alle angeht – und es ist auch ein Thema, das Generationen verbindet.
Und deswegen treffen wir gleich eine ganz spannende Runde – generationenübergreifend. Mit dabei ist Mojib Latif, der vielleicht bekannteste Klimaforscher in Deutschland, der sich viel damit beschäftigt hat als Meteorologe, was passiert dann auch mit Hamburg, wenn das Meer, der Meerespegel steigt. Wir bringen Sie zusammen mit Schülern und Studierenden, die sich engagieren, zum Beispiel mit „Fridays for Future“, mit den Demonstrationen, mit Klimakonferenzen, mit einer jungen Medizinstudentin, die sagt, das ist ein Thema auch für unsere Generation. Also, was dabei herauskommt, wenn diese Menschen aufeinandertreffen, dürfen Sie gespannt sein.
Luisa Neubauer studiert Geografie, Silvia Hartmann Medizin in Berlin und Luca Salis ist Schüler. Sie gehören alle zu einer immer größer werdenden Bewegung junger Menschen in aller Welt, die sagen: „Die Erderwärmung ist die große Krise unserer Zeit. Und es ist unsere Zukunft, mit der ihr Politiker spielt.“ Ihre Ikone ist die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg. Aber es gibt längst Verbündete und Mitstreiter in vielen anderen Ländern. Bei „Fridays for Future“ etwa, das Luisa initiiert hat in Deutschland, wird für den Klimaschutz gestreikt und demonstriert. Luisa hat Greta sogar in Kattowitz getroffen.
O-Ton Luisa Neubauer: „Ich bin von der Klimakonferenz weggefahren und dachte, wie absurd das ist! Wir verpassen hier alle unsere Klimaziele und statt auf die Straße zu gehen, lehnen wir uns zurück und sagen: „Oh, selbst schuld, haben ja andere irgendwie verbockt.“ Und so tickt ja nicht die Klimakrise und dafür haben wir jetzt wirklich keine Zeit mehr. Und glücklicherweise bin ich ja nicht alleine. Wir sind ja ganz, ganz viele in Deutschland, die gemeinsam dieses große Projekt auf die Beine gestellt haben und weiterhin tragen. Das heißt, ich bin da in bester Gesellschaft zum einen, das macht mir natürlich persönlich Mut. Aber es gibt ganz, ganz viele Menschen, die mir lange Nachrichten schreiben, die mir viele Kommentare schicken, wie blöd sie das alles finden. Mir gibt es in dem Sinne zu denken, dass ich mich frage, wen nehmen wir gerade nicht mit, wir erleben gerade in Frankreich, dass sozialer Wandel gerecht sein muss.“
Eckart von Hirschhausen: Gerechtigkeit war eines der wichtigen Themen, die ich mit Luisa, Silvia und Luca diskutiert habe. Ebenso wie unsere Energienutzung, unseren ökologischen Fußabdruck und auch die Art, wie wir unsere Städte bauen. Ich selber habe als junger Straßenkünstler – da war ich grade 17 – gezaubert. Und da habe ich hautnah erlebt, wie in vielen Städten, zum Beispiel auch in meiner Heimatstadt Berlin, es praktisch unmöglich ist, in diesen „autogerechten Städten“, irgendwo eine Fußgängerzone zu finden, wo es ruhig ist, wo Menschen verweilen, wo sie zuhören und flanieren. Wollen wir so leben, in einer ständig stressigen, heißen und unfairen Welt? Mojib Latif, der berühmte Klimaforscher, ist sich mit den jungen Menschen einig: Es muss etwas passieren.
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Um das Weltklima zu retten, müssten wir unseren Lebensstil grundlegend verändern. Endlich signalisieren die Wähler von morgen: Wir sind dazu bereit! Doch die Politik diskutiert lieber über verpasste Schulstunden.

Auch dieser Freitag soll wieder ein "Friday for Future" werden. In mehr als 30 deutschen Städten gehen Schülerinnen und Schüler erneut für einen besseren Klimaschutz auf die Straße - übrigens nicht immer während der Unterrichtszeit. Am vergangenen Freitag zeigte die Bewegung, dass sie den Globus bereits umspannt. Nicht schlecht für einen Protest, der mit einem stillen Sitzstreik einer einzelnen Jugendlichen vor dem schwedischen Reichstag begonnen hat.

Die junge Greta Thunberg muss man an dieser Stelle nicht zu einer Art Mutter Theresa des Klimaschutzes hochloben. Auch soll nicht mehr darauf herumgeritten werden, ob es sinnvoll ist, für diesen Protest - und nur für diesen Protest, selbstverständlich! - die Schule zu schwänzen oder nicht. Natürlich entfaltet ein Streik nur dann nennenswerte Wirkung, wenn er die Normalität aushebelt. Das wurde uns an anderer Stelle, beispielsweise durch Lokführer oder Fluglotsen, schon so manches Mal vor Augen geführt. Und der Umstand, dass Politiker, Wissenschaftler und Medien mehr als nur Notiz von der Bewegung nehmen, ist doch das beste Argument dafür, nicht erst nach Schulschluss für einen Planeten einzustehen, auf dem man - um einen CDU-Wahlkampfspruch zu zitieren - auch in Zukunft gut und gerne leben kann. Belächelt werden die jungen Aktivistinnen und Aktivisten jedenfalls nicht (mehr).

Greta Thunberg in Hamburg

Klima-Protest treibt Entscheider in die Enge

Ganz offensichtlich ist es "Fridays for Future" vielmehr gelungen, die Entscheidungsträger in die Enge zu treiben. Die Vehemenz, mit der mancher Hardliner Greta Thunberg verbal attackiert, ist selbstentlarvend und wirkt stellenweise irrational. Auch der viel zitierte Hinweis von FDP-Chef Christian Lindner, Klimaschutz sei eine Sache für Profis, geht ins Leere, haben es jene Profis doch offensichtlich über Jahrzehnte nicht geschafft, das Problem in den Griff zu bekommen. Angesichts des Umstandes, dass jeder, der die Augen nicht verschließt, Klimaveränderungen schon in seiner direkten Umgebung bemerken und spüren kann, wirkt die Debatte ums Schuleschwänzen wie eine weiteres Drumherumreden um das eigentliche Thema: Wie schaffen wir es noch, den von uns mit verursachten Klimawandel einzudämmen, um unsere Zukunft und die Zukunft jener Generation zu sichern, die jetzt so nachhaltig dafür demonstriert?!

Die Proteste der Schülerinnen und Schüler bieten eine hervorragende, vielleicht einmalige Gelegenheit für die Politik, wirkungsvollen Klimaschutz zu realisieren. Die tut sich bekanntlich mit Klima rettenden Entscheidungen seit jeher so unendlich schwer, weil diese unsere Lebensweise grundsätzlich infrage stellen müssen, sollen sie denn Wirkung zeigen: Autofahren, Flugreisen, überbordender Fleischkonsum, Beton als Baustoff - all' das und mehr müsste für die Rettung des Weltklimas eingeschränkt, verändert, vielleicht sogar aufgegeben werden. Arbeitsleben, Familie, Freizeit - nichts könnte so bleiben wie bisher. Bisher galt: Das ist niemandem zu vermitteln, dafür gibt es keine Wählerstimmen. Doch jetzt signalisieren die Wähler und Wählerinnen von morgen: Wir haben das verstanden! Wir sind zu Veränderungen bereit!

Klimaforscher wittern Morgenluft

Es ist kein Zufall, dass viele Klimaforscher die jungen "Fridays for Future"-Aktivisten vehement unterstützen. Diese Klima-Profis freuen sich nach Jahrzehnten des "Dicke-Bretter-Bohrens" und quälend-zäher Lobby-Arbeit auf unzähligen Weltklimakonferenzen über die neuen Verbündeten. Und sie sagen Lobbyisten, Politikern und Entscheidern schon lange das, was die Schülerinnen und Schüler jetzt lauthals für ihre Zukunft einfordern: Wir müssen jetzt handeln, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Ansonsten werden die Folgen in absehbarer Zukunft so immens sein, dass die heutige Debatte um einige verpasste Schulstunden nicht einmal mehr eine Marginalie sein wird.

Das sieht, glaubt man dem aktuellen ARD-"Deutschlandtrend", auch die Mehrheit der Deutschen so, die die Schüler-Demonstrationen während der Unterrichtszeit für in Ordnung halten. Auch angesichts dieser Unterstützung aus der Bevölkerung sind die "Fridays für Future" so etwas wie eine historische Chance. Die Politik darf sie eigentlich unter keinen Umständen verspielen. Dass sie die Gunst der Stunde erkannt hätte, lässt sich allerdings bisher nicht erkennen.

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