CDU-Führung Friedrich Merz und Hendrik Wüst: Zwei Männer am Rande des Dramas

Wo immer CDU-Chef Merz (r.) und NRW-Ministerpräsident Wüst gemeinsam aufkreuzen, ist das eigentliche Thema der Veranstaltung zweitrangig
Wo immer CDU-Chef Merz (r.) und NRW-Ministerpräsident Wüst gemeinsam aufkreuzen, ist das eigentliche Thema der Veranstaltung zweitrangig
© Kay Nietfeld / DPA
Ein kleine Stichelei des Kanzlers reicht – und schon startet die nächste Episode des unionsinternen Wettbewerbs zwischen Friedrich Merz und Hendrik Wüst. Was war denn da schon wieder los?

In der Politik gibt es Momente, da kann man aus den kleinsten Gesten die dollsten Dinge herauslesen. Man muss es nur wollen. "Geh Du vor", sagt Friedrich Merz auf dem Weg zur Pressekonferenz. Und Hendrik Wüst geht vor. Klar, das lässt er sich nicht zweimal sagen, so versteht er seine Rolle in der Union. Er regiert und zeigt, wo es langgeht. Der Mann hinter ihm redet nur.

Nun ist es mit Merz und Wüst ja so: Wo immer der CDU-Chef und der NRW-Ministerpräsident gemeinsam aufkreuzen, ist das eigentliche Thema der Veranstaltung zweitrangig. Man kann über Flucht und Migration sprechen wollen oder über die Frauenquote in der Union, völlig egal, am Ende geht es immer um Merz und Wüst. Wie gut verstehen sie sich wirklich? Wer stichelt jetzt gegen wen? Und vor allem: Wer wird Kanzlerkandidat?

Auch an diesem Dienstagvormittag kommt irgendwann die Frage auf: Wie steht es denn so um den Wettbewerb zwischen Ihnen?

Alles Unfug, sagt Merz. "Das ist eine schöne Geschichte. Aber es ist eine Geschichte, mehr nicht. Wenn Sie die schreiben wollen, schreiben Sie die."

Gut, dann wollen wir mal.

Friedrich Merz und Hendrik Wüst: Die Dramaturgie des Zufalls

Die neueste Geschichte von Friedrich Merz und Hendrik Wüst beginnt mit einem Mann, mit dem man nicht tauschen möchte. Thorsten Schick, Chef der CDU im Landtag von Nordrhein-Westfalen, ist extra von Düsseldorf nach Berlin gereist. Hat seine Fraktion mitgebracht, um mit den Parteifreunden aus der NRW-Landesgruppe im Bundestag über aktuelle Themen zu sprechen. Hat seinen Sprecher beauftragt, zum Abschluss der Tagung eine Pressekonferenz in der Landesvertretung zu organisieren – und dann bleibt ihm doch nur eine kleine Nebenrolle.

Schick begrüßt alle sehr herzlich, sagt fünf einleitende Sätze, dann hört er 40 Minuten zu. Fragen an ihn? Keine. Man kann Schick keinen Vorwurf machen. Seine Pressekonferenz mit Merz und Wüst, lange im Voraus geplant, fällt ausgerechnet auf den Morgen nach einer langen Nachtsitzung aller Ministerpräsidenten mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Und wie es die Dramaturgie des Zufalls so will, verspricht die Merz-Wüst-Saga wieder besonders spannend zu werden.

Man muss dafür gar nicht allzu tief in die Verhandlungen der Ministerpräsidenten mit dem Kanzler einsteigen. Man muss nur wissen, dass auch Merz zuletzt zweimal bei Scholz war, um über eine mögliche Zusammenarbeit in der Migrationspolitik zu sprechen. Merz sieht das so: Was auch immer der Kanzler und die Länderchefs verhandeln, am Ende zählt nur, was Gesetz wird. Und das muss durch den Bundestag. Klar, Scholz braucht die Unionsfraktion nicht für eine Mehrheit – aber wäre ein breiter Konsens bei diesem Thema nicht ein wichtiges Signal?

Von Wüst wiederum hat man vor allem in den vergangenen Tagen konkrete Vorschläge für eine anderen Umgang mit Flucht und Migration gehört. Er fordert inzwischen zum Beispiel, dass Deutschland auch in den Staaten Asylverfahren anbieten solle, wo die Bewerber herkommen. Als wichtigster Regierungschef der CDU ist Wüst in der Runde der Ministerpräsidenten eine zentrale Figur.

Wenn der Kanzler stichelt

Inhaltlich liegen Merz und Wüst auf einer Linie. Die Union überschreibt ihre Migrationspolitik gerne mit "Humanität und Ordnung". Rhetorisch gesehen lässt sich festhalten, dass Wüst seine Position mehr mit Humanität begründet, Merz eher mit Ordnung. Strategisch gesehen wichtig ist hingegen nur eine Frage: Wer von beiden ist der Chefverhandler der Union?

Mit am Tisch im Kanzleramt saß in der Nacht von Montag auf Dienstag nur Wüst. Irgendwann, so gegen kurz nach halb zehn, spricht man über einen Vorschlag der Länder, ursprünglich eine CDU-Idee aus Sachsen. Es geht um eine Kommission für Migrationsfragen, an der möglichst viele gesellschaftliche Gruppen beteiligt sein sollen. Man streitet darüber, was in diesem Kontext "parteiübergreifend" hieße. Scholz deutet an, dass er seine exklusiven Gespräche mit einem Parteichef dann einstellen müsse. Er meint die Runden mit Merz.  

Wenige Minuten später twittert RTL-Politikchef Nikolaus Blome: "Im Kanzleramt brennt die Luft. Scholz wirft Wüst und den CDU-MP eine Intrige gegen Parteichef Merz vor: Weil die CDU-MP eine eigene Migrationskommission fordern, die an Merz vorbei mit Scholz verhandeln wolle."

Der Tweet bekommt schnell ordentlich Reichweite. Auch in der CDU wird er aufmerksam gelesen. Vor allem bei jenen, die nicht im Kanzleramt dabei sind. Jetzt verteidigt also schon Scholz den armen Merz gegen die Tricksereien seines Widersachers Wüst? Gibt’s ja nicht!

Wie man später erfahren konnte, hat Scholz als kleinen Seitenhieb auf Wüst und Merz wohl nur lapidar darauf hingewiesen, dass man in NRW ja zusammenhalte. Eine kleine Spitze also, keine Intrige. In der Merz-Wüst-Saga aber reicht inzwischen eine Anekdote, um das ganz große Drama auszulösen.

Und so stehen sie am Morgen danach vor Presse, Wüst in der Mitte, Merz rechts, links Statist Schick. Die Frage zum persönlichen Wettbewerb kommt erst ganz zum Schluss. Bis dahin geht es um Inhalte, um Einschätzungen und Absichten. Für Journalisten beginnt jetzt die kritische Phase, in der es verlockend ist, alles an Mimik und Gestik auszudeuten. Bei Merz und Wüst muss man schließlich ganz genau hinschauen.

Nickt Merz auch oft genug, wenn Wüst etwas Kluges sagt? Lacht er nicht ein wenig zu offensichtlich über den ein oder anderen Scherz des Ministerpräsidenten? Hat Wüst da Merz tatsächlich für den Titel eines Positionspapiers gelobt? Und warum bekommt er schon das zweite Getränk gebracht? Könnte er Merz da nicht auch mal das Wasser reichen?

Solche Sachen.

"Ihr Eindruck ist falsch"

Merz gibt sich alle Mühe, nicht den geringsten Zweifel aufkommen zu lassen, dass er und Wüst stets in trauter Eintracht zueinander agieren und kommunizieren. Hier, im Garten der NRW-Landesvertretung, haben sie im Sommer nach Tagen gegenseitiger Sticheleien den Pilsfrieden von Berlin geschlossen. Es war ein gut inszeniertes Prosit der Geschlossenheit. Es blieb nur nicht viel davon übrig.

Also versucht es Merz noch einmal. Zwischen den Unions-Ministerpräsidenten und ihm habe es nie einen Dissens gegeben. "Ich will mich ausdrücklich bedanken, auch bei Hendrik Wüst persönlich, als dem Ministerpräsidenten des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, dass wir hier sehr eng abgestimmt in den letzten Wochen vorgegangen sind und dies auch gestern Abend und die Nacht durch beibehalten worden ist." Man sei an keiner Stelle auseinandergefallen.

Als wäre diese Ausführlichkeit allein nicht schon bemerkenswert, hört man von Wüst nun dazu: gar nichts. Dabei hat er bei dieser Pressekonferenz eigentlich den viel größeren Redeanteil. Nur am Ende wird er schmallippig. Wettbewerb? Wüst schaut den fragenden Journalisten lächelnd an. "Ihr Eindruck ist falsch."

Das ist natürlich nicht der beste Cliffhanger. Aber Merz und Wüst kommen inzwischen ohne aus. Die nächste Episode kommt. Garantiert.

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