Begründung für G20-Protestverbot Polizei hält linken Anwaltsverein für gefährlich - Bürgermeister Scholz ist dort Mitglied

Polizisten räumen in Hamburg ein G20-Protestcamp in einem Park im Stadtteil Altona
Polizisten räumen in Hamburg ein G20-Protestcamp in einem Park im Stadtteil Altona
© Daniel Reinhardt/DPA
Die Hamburger Polizei begründet ihre Gefahreneinschätzung für G20-Proteste auch mit einem angeblich gefährlichen Anwaltsverein. Aus dem Umfeld sei sogar Gewalt zu erwarten. Bürgermeister Olaf Scholz ist dort Mitglied.

Die Frage, welche G20-Proteste erlaubt sind und welche nicht, beschäftigt die Gerichte seit Wochen. Vier ehemalige Jura-Studenten aus Hamburg klagen derzeit gegen Allgemeinverfügungen, die Demonstrationen während des G20-Gipfels in Teilen Hamburgs generell untersagen. Anfang der Woche legte die Polizei eine Begründung ihrer Gefahreneinschätzung vor, die bei vielen Anwaltsvereinen auf Unverständnis stößt.

In dem Dokument, das dem stern in Auszügen vorliegt, argumentieren die Beamten, dass von den Klägern und deren Umfeld eine größere Gefahr ausgehe, weil sie unter anderem mit dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) verbunden und ihre Anwälte darin organisiert seien. Dieser sei in die "linke bis linksextreme Szene" vernetzt, weshalb die Polizei einer Versammlung "Blockadeabsicht" unterstellt und davon spricht, dass "gegebenenfalls sogar gewalttätige Aktionen" geplant seien. Als Belege für ihre Behauptungen hat die Polizei unter anderem angehängt, dass die RAV-Anwälte zu den Organisatoren der Veranstaltung "Kampf gegen die Straflosigkeit von Völkerrechtsverbrechen" gehört hätten. Bei dem Event 2011 ging es auch um die Diktatur in Argentinien.

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Das ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen ist Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) als Anwalt im RAV organisiert. Auf der Webseite des Vereins ist seine Kanzlei gelistet. Zum anderen sehen viele Anwaltsvereine hier eine fragwürdige Argumentation, die die freie Rechtsanwaltswahl einschränke. "Wer den Versuch unternimmt, aus der Mitgliedschaft eines anwaltlichen Vertreters in einer bundesweit anerkannten Anwaltsorganisation Nachteile für den Mandanten zu konstruieren, zeigt nicht nur, dass er mit seinem juristischen Latein am Ende ist sondern offenbart auch bedauerliche Defizite im rechtsstaatlichen Denken", wird der Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin zitiert.

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Und nicht nur die Berliner springen ihren Kollegen bei. "Dies stellt einen nicht hinzunehmenden Eingriff in die freie Anwält*innenwahl als Grundpfeiler eines jeden Rechtsstaates dar", teilt die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. dazu mit. Ähnliches auch aus dem Süden Deutschland: "Die Vereinigung Baden-Württembergischer Strafverteidiger e.V. erklärt sich solidarisch mit den Kolleginnen und Kollegen des RAV, die in Hamburg unter schwierigen Bedingungen für den anwaltlichen Notdienst aktiv sind, um dort Gegnerinnen und Gegner des G20-Gipfels rechtlich zu beraten und zu unterstützen." Man sei "empört" über das Vorgehen der Polizei. Auch die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg tritt der Polizei "mit Nachdruck entgegen". Die Begründung der Beamten sei "ungerechtfertigt und verfehlt".

Der RAV selbst erklärt dazu, die freie Anwaltswahl sei "ein zentrales rechtsstaatliches Prinzip". Mit ihrer Argumentation unterteile die Hamburger Polizeiführung Rechtsanwälte "in 'genehme' und 'gefährliche'". So werde die Wahl des Anwalts zur Gefahrenprognose herangezogen. "Hierdurch werden Grundregeln des Rechtsschutzes außer Kraft gesetzt." Bei der Hamburger Polizei war auf stern-Anfrage keine Stellungnahme zu dem Vorgang einzuholen. 

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