G20-Finanzministertreffen Christian Lindner in São Paulo: Was bringen solche Gipfel? Und was passiert in einem Regierungsflieger?

G20-Treffen der Finanzminister: Christian Lindner in Brasilien
Statement vor Palmen: Christian Lindner beim G20-Treffen der Finanzminister in São Paulo, Brasilien
© IMAGO / Felix Zahn
Finanzminister Christian Lindner ist für zwei Tage und eine Nacht rund um den Globus gereist. Doch was passiert hinter den Kulissen? Ein kleiner G20-G7-Gipfel-Guide.

Da sitzen sie wieder, in einem fensterlosen Raum, weit weg von daheim, wie alle paar Monate eben. Zwei Dutzend übermüdete Journalisten vor sich. Die Mikros sind eingeschaltet, die Fernsehkameras laufen. Und Christian Lindner und Joachim Nagel erklären die Lage der Weltwirtschaft. Konjunktur, Inflation, Zinsniveau, Staatsverschuldung.

Es ist ein Ritual, das der Finanzminister und der Bundesbankchef in bester Tradition ihrer Amtsvorgänger bei jedem Gipfeltreffen der Finanzpolitik pflegen. Sei es bei den G7, beim Internationalen Währungsfonds oder eben auch hier, beim G20-Finanzministertreffen in São Paulo, bei 30 Grad, 70 Prozent Luftfeuchtigkeit und Dengue-Fieber-Alarm. 

"Unsere Botschaft hier war: Wir brauchen eine neue Ära der strukturellen Reformen", sagt Lindner. 

"Vieles, was wir heute leider diskutieren müssen, hängt mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zusammen", klagt Nagel

Ja, die Lage ist herausfordernd, nicht zuletzt in Deutschland, wo die Bundesregierung für 2024 ein mickriges Wachstum von 0,2 Prozent erwartet. Was die Frage aufwirft: Warum jettet der Finanzminister schon wieder in der Welt herum, wo doch daheim die Wirtschaft abschmiert? Was können diese Treffen mit anderen Finanzministern schon bringen? Reicht es nicht, wenn sich die Staats- und Regierungschefs besprechen?

Antworten im kleinen stern-Gipfel-Guide.

Was ist das für ein Format? 

Im Rahmen der G20 – so erklärt sich der Name des Formats – treffen sich die 20 größten Industrie- und Schwellenländer. Jedes Jahr gibt es einen großen Gipfel, für den die Staats- und Regierungschefs anreisen. Darüber hinaus gibt es viele kleinere Treffen, bei denen die Fachminister zusammenkommen: Agrar, Arbeit, Außen, Gesundheit und so weiter. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Natürlich treffen sich so auch die G20-Finanzminister ein- bis zweimal im Jahr. Mit dabei sind immer die Chefs der Notenbanken. Im Falle Deutschlands eben Bundesbankchef Joachim Nagel. Genau so ist es auch bei den G7, der Runde der wichtigsten Industrienationen, die ihre eigenen Treffen haben, sich meist aber ebenfalls am Rande der G20-Termine im kleineren Finanzminister-Kreis vorbesprechen.

Wo finden die G20-Treffen statt?

Die Präsidentschaft, also der Vorsitz der G20, wechselt jedes Jahr. Vergangenes Jahr war Indien dran, jetzt ist Brasilien an der Reihe. Außenministerin Annalena Baerbock war deshalb gerade erst in Rio de Janeiro. Lindner muss sich mit dem weniger schönen São Paulo begnügen. Aber, damit kein falscher Eindruck entsteht: Zeit für Sightseeing gibt es ohnehin äußerst selten. Deshalb macht es für die Politiker und ihre engsten Mitarbeiter kaum einen Unterschied, wo man hinfliegt. Konferenzräume und Messehallen sehen überall ähnlich aus. 

Lindner und Nagel hatten in Brasilien immerhin die Chance, sich von Vertetern der dort tätigen deutschen Unternehmen einen Einblick zur Lage im Land geben zu lassen.

Die mitreisenden Journalisten haben da manchmal mehr Glück. Weil die Minister meist nicht öffentlich beraten und weil nicht immer große News bei so einem Treffen auf sofortige Berichterstattung warten, bleibt etwas Zeit, die Umgebung zu erkunden. Mehr als ein Runde im Park neben dem Pressezentrum oder ein Restaurantbesuch wird es jedoch meist nicht. Man kann auf diese Art viele Stempel im Pass sammeln, ohne seinen Horizont zu erweitern.

Worum geht’s? 

In erster Linie geht es für die Minister darum: Im Gespräch bleiben, Probleme bewerten und an Lösungen arbeiten. Der Austausch zwischen den jeweiligen Fachministerien der Staaten läuft zwischen den Gipfeln auf der Arbeitsebene weiter. Jedes G20-Treffen knüpft im besten Fall an das vorherige an. Ein Dauerbrenner-Thema bei den Finanzministern ist zum Beispiel die hohe Staatsverschuldung vieler Länder des Globalen Südens – und was man dagegen tun könnte. 

Im G7-Kreis wiederum haben Lindner und seine Amtskollegen in Brasilien über weitere Finanzhilfen für die Ukraine zu beraten. Seit zwei Jahren ist es das zentrale Projekt der Runde. US-Finanzministerin Janet Yellen drängt darauf, dass im Westen eingefrorene russische Vermögenswerte genutzt werden, um der Ukraine zu helfen. Die EU werde bald einen Vorschlag machen, sagte Lindner in Brasilien, wie die Erträge dieser Vermögen zugunsten der Ukraine verwendet werden könnten. 

Neben diesen kontinuierlichen Gesprächen kann das Gastgeber-Land seine Präsidentschaft nutzen, um eigene Schwerpunkte zu setzen. Brasilien tut das sehr gezielt. Präsident Lula da Silva hat vor einem Jahr die Wahl mit einer sozialistischen Kampagne gegen Armut gewonnen. Jetzt will der Arbeiterführer Ungleichheit zum bestimmenden Thema seiner G20-Präsidentschaft machen. Das zeigt auch die Tagesordnung der Finanzminister: Zweieinhalb Stunden waren am Donnerstagvormittag dafür angesetzt. Für Lindner nichts Neues, er kennt diese Verteilungsfragen ja aus der Ampel-Koalition.

Gibt es eine Abschlusserklärung, auf die sich alle einigen?

Normalerweise, ja. Aber seit Russland die Ukraine überfallen hat, ist das bei G20-Gipfeln kompliziert geworden, sich auf eine gemeinsame Sprache zu einigen, wie die geopolitische Lage bewertet werden soll. Russland ist schließlich auch Mitglied der G20, auch wenn es auf der Ebene der Minister keinerlei Gespräche mehr gibt. Das macht die Verhandlungen über einzelne Begriffe und Formulierungen besonders schwer.

Hinzu kommt nun die Situation im Nahen Osten. Die Länder des Globalen Südens bewerten die Lage in Gaza mitunter anders als Deutschland und die USA. Und die chinesische Sicht auf die Dinge ist ohnehin oft eine sehr eigene. "Es gibt kein business as usual bei G20", sagt Lindner und warnt davor, dass ein Gewöhnungseffekt etwa mit Blick auf die Ukraine eintrete.

Und so blieb auch in São Paulo lange offen, ob es eine Abschlusserklärung geben wird. Dieses sogenannte Kommuniqué verhandelt übrigens nicht Lindner persönlich. Ein Team aus seinem Ministerium ist bereits früher angereist als er und ringt mehrere Tage lang bis spät in den Abend mit den anderen G20-Vertretern um eine gemeinsame Lösung. 

Warum die Wortklauberei? Weil am Ende aus solchen schriftlich festgehaltenen Übereinkünften durchaus auch aktive Bemühungen um gemeinsame Politik werden können. Und weil so Druck ausgeübt wird auf jene, die im Text nicht so gut wegkommen.

Was passiert auf Hin- und Rückflug?

Die Mitglieder der Bundesregierung fliegen in der Regel mit der Luftwaffe zu den Gipfeltreffen. Die Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums verfügt über gleich mehrere Airbus-Großraumflugzeuge, in denen man bequem reist. Auch Oppositionsführer Friedrich Merz hat Anspruch darauf – wenn denn gerade ein Flieger frei und flugtauglich ist.

Für die Minister oder den Kanzler gibt es meist vorn eine Kabine mit Bett. Im Mittelteil des Flugzeugs sitzen mitreisende Beamte, hinten die Presse, die übrigens für den Mitflug bezahlt. An Bord geht es deutlich legerer zu als bei den Treffen auf dem diplomatischen Parkett. Olaf Scholz etwa hat mal eine Debatte ausgelöst darüber, ob sein Pullover auf einem Atlantikflug nicht doch zu lässig gewesen sei.  

Auch Christian Lindners Kleidung auf solchen Flügen ist hinreichend beschrieben worden. Sonst gibt es aus dem Regierungsflieger auch nichts zu berichten. Zwar verfügt der extra über einen kleinen Raum, in dem sich Journalisten und Politiker in Ruhe unterhalten können. Der Inhalt allerdings ist in der Regel nur für den Hintergrund, wie es so schön heißt. Bedeutet: nicht zur Veröffentlichung.