Zwei Uhr Freitagfrüh. Die Lage beruhigt sich allmählich, sagt selbst die Polizei. Die letzten Scharmützel im Schanzenviertel hält sie offenbar für kontrollierbar. Die Stadt atmet kurz durch, ehe es weitergeht. Die Nacht ist mild - und abseits der Krawallzonen im Schanzenviertel und St. Pauli weitgehend still. Gespenstisch still.
In dieser Nacht macht Hamburg den Eindruck einer Stadt unter Ausgangssperre - wenn auch ohne den Angstfaktor, von der Polizei nach der Sperrstunde aufgegriffen und inhaftiert zu werden. Trotzdem sind überall Sicherheitskräfte. Die Hochbahn - ansonsten zuverlässiger Transporteur durch das Chaos - gönnt sich ein paar kurze Stunden der Betriebspause. Der Ruf nach einem Taxi geht ins Leere: "Wir haben keine Wagen frei, schon gar nicht in Ihrer Nähe." Bleibt der Nachtbus. Das Warten erweist sich nach einer halben Stunde als sinnlos - nicht überraschend, denn der Bus hätte aus Richtung St. Pauli kommen müssen. Nur vereinzelt fahren Taxis vorbei. Ich versuche, eines anzuhalten, doch die Fahrer schauen starr nach vorne. Ansonsten ein paar wenige Pkw und - Einsatzwagen der Polizei, die ihre Runde drehen.
G20 in Hamburg - Eindrücke einer Stadt im Ausnahmezustand

"Dann warte ich halt weiter"
Ich mache mich wie die meisten Wartenden zu Fuß auf den Weg. Die Elbphilharmonie ist hell erleuchtet, die Besatzungen mehrerer Polizeiwagen sperren die Zufahrt über die Elbe ab. Es will aber eh niemand durch. Kaum zu glauben, dass nur rund 1000 Meter entfernt Stunden zuvor das Chaos herrschte und in der Schanze immer noch Barrikaden brennen sollen. Die wenigen, die jetzt noch durch die Innenstadt streichen, sind auf der Suche. An der Willy-Brandt-Straße wird ein Taxi von einer Menschentraube umlagert. Die Verhandlungen laufen längst, nichts zu machen, der Wagen ist voll.
Weiter Richtung Innenstadt. Selbst in kleinen, harmlosen Nebenstraßen steht Polizei. Am Rathausmarkt dann doch noch Menschentrauben - und Nacht-Busse. Abfahrt: 3:30 Uhr, versprechen die Anzeigen. Die Fahrer scheinen sich nicht so sicher zu sein, ob oder wann sie wirklich fahren werden. "Dann warte ich halt weiter", resigniert einer.
Viele Hamburger sind G20-Flüchtlinge
In der Einkaufsmeile Mönckebergstraße sind etliche Kaufhäuser und Geschäfte verrammelt. Schon tagsüber war hier kaum jemand unterwegs. Die Läden, die ihre Holzportale öffnen, locken mit Preisnachlässen. Meist vergebens. Und schon gar nicht um diese Zeit. Viele Hamburger sind zu G20-Flüchtlingen geworden und haben die Stadt verlassen. Im "Saturn", wo fast immer enormer Andrang herrscht, war ich am Morgen zeitweise einer von gefühlt sieben Kunden. Jetzt, in der Nacht, sind auch hier nur Polizei und Sicherheitsdienste unterwegs - und ein Wagen mit erleuchtetem Taxi-Schild. "Sie sind sowas wie ein Wunder", sage ich zum Fahrer als ich einsteige. "Ich weiß", sagt er, "eigentlich hätte ich schon seit vier Stunden Feierabend, aber es fährt sonst kaum jemand."
Vor dem Hotel Reichshof gegenüber dem Hauptbahnhof wieder reichlich Polizei. Hier nächtigen die britischen Premierministerin Theresa May und andere Staatschefs. Halten an der roten Ampel. Wir stehen erstaunlich nahe am Hotel, werden aber nicht beachtet. Erstaunlich in einer Stadt, wo selbst in abgelegenen Vierteln derzeit Straßen spontan abgesperrt werden, um Konvois die Durchfahrt zu sichern. "Da drüben sind sonst 30/40 Taxis", zeigt mein Fahrer leicht fassungslos auf den Taxi-Standplatz am Bahnhof. Auch der Parkplatz daneben ist so gut wie leer. Kein Wunder um vier Uhr nachts, sollte man meinen. Doch mittags zuvor war es schon genauso. Auch sonst leere Plätze, leere Straßen. Das auch, weil die Stadt zeitweise wie eine Sperrzone ist. Wer rein will, braucht sehr viel Geduld, wie Menschen am Vorabend des Gipfels besonders intensiv erleben mussten. Absoluter Stillstand.

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Hamburg ist in diesen Gipfel-Tagen eine geteilte Stadt. Auf der einen Seite Demonstranten, Krawalle, brennende Barrikaden - das Bild, das die Welt inzwischen kennt. Auf der anderen Seite gespenstische Stille, eine paralysierte Stadt. Beides eine Art Ausnahmezustand. Nicht nur in Hamburg wird gefragt, ob die Konferenz der Mächtigen, die die Probleme der Welt lösen soll, dies alles rechtfertigt.