Generationen-Studie Viel zu schön, um wahr zu sein

  • von Hans Peter Schütz
Familienministerin Ursula von der Leyen hat eine neue Untersuchung zur Situation der deutschen Familie präsentiert. Ein schönes Bild wird darin gezeichnet: keine tyrannischen Kinder, keine verzweifelten Eltern, keine ausgebrannten Lehrer. Die Schwachstellen in der Familienentwicklung werden geschönt.

Ein frühlingsgrünes, ein frühlingsfrohes Bild der deutschen Familie zeichnete Familienministerin Ursula von der Leyen. Mit strahlendem Lächeln, mit glänzenden Augen. Die deutsche Familie ist demnach intakt wie seit langem nicht mehr, wie sie es vielleicht noch nie war. Dieses Bild liefert zumindest das "Generationen-Barometer 2009", das die Allensbacher Demoskopen erfragt und analysiert haben. 2006 lief die letzte Umfrage, seither ist die CDU-Bundesfamilienministerin im Amt und seither scheint sich alles zum Besseren gewendet zu haben.

Von der Leyen zeichnet dieses Bild: Die Ohrfeige findet nicht mehr statt in der deutschen Familie. Die Erziehungsziele heißen nicht mehr Zucht und Ordnung und gutes Benehmen allein, sondern wollen auch Selbstbewusstsein der Kinder wecken, ihre persönlichen Fähigkeiten entwickeln, ihr Durchsetzungsvermögen fördern. Eltern wollen keine duckmäuserischen Kinder mehr, sondern starke Persönlichkeiten. Gepflegt wird nicht mehr Anpassungsdruck oder gar Prügeln. Gewalt ist out. Gepflegt wird eher ein partnerschaftliches familiäres Miteinander, mehr als jemals zuvor auch unter Einbeziehung der Großeltern. Soweit von der Leyen.

Von der Leyen: Familie ist nicht in der Krise

Stolz resümiert die Ministerin: Das deutsche Familienleben sei in keiner Krise. Die umfassende Befragung der deutschen Eltern liefert jedoch im ersten Augenschein ein Bild, das zu schön ist, um wahr zu sein. Unsere Kinder sitzen zu lange vor dem Computer, trinken zu früh Alkohol, sind vielfach zu dick. Noch immer fehlt vor allem den Vätern hinreichend Zeit für ihre Kinder, auch wenn es besser geworden ist. Und nichts macht jungen Frauen und Männern mehr Mut zur Familie, als das Gefühl, für sie dann auch Zeit und Freiräume in der Arbeitswelt zu haben. Haben sie aber nicht ausreichend.

Zwar macht die Ministerin unter all den Kabinettsmitgliedern mit CDU/CSU-Parteibuch eindeutig den überzeugendsten Job. Aber die unübersehbaren, weiterhin vorhandenen Defizite blendet sie aus. Dass von der Leyen sich zuletzt vorschnell mit einem Kinderzuwachs als politische Superpowermutter präsentiert hat, der dann nicht eingetreten, ist eine persönliche Blamage gewesen. Gesellschaftspolitisch ist ihre Fehlprognose ohne Bedeutung. Da zählen andere Defizite weit mehr als leere Wiegen: Die Institutionen des Staates sind unverändert dem Ansturm der Eltern oft nicht gewachsen, vor allem im Kindergarten und in der Grundschule. Zu oft praktizieren Politiker aller Parteien Erziehungskompetenz nur mit leeren Versprechungen. Es geht hier ja nicht nur um eine Platzfrage der Institutionen. Viel schwerer wiegt der Mangel an Qualität, der den Kindern darin geboten wird.

Alleinerziehende müssen Probleme oft alleine lösen

Geradezu dramatische Fehlstellen sind an anderer Stelle zu besichtigen. Noch immer bleiben Alleinerziehende mit ihren Problemen weithin allein. Es muss damit gerechnet werden, dass im Zuge der Wirtschaftskrise die Frage, wie sich die Armut der Eltern pädagogisch umsetzt, an Schärfe gewinnen wird. Nichts taucht in den Erfolgsberichten der Demoskopie und der Ministerin auf über die Situation der Familien mit Migrationshintergrund in den sozial schwachen Vierteln der deutschen Großstädte, wo die kinderreichsten Familien mit dem höchsten Misshandlungsrisiko leben.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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Vollends versagt die Politik bislang bei der Eindämmung der Gefahr, die von den neuen Medien ausgeht, vor denen die Kinder oft umso länger sitzen, je ärmer ihre Eltern sind. Und bei denen die Kinder in aller Regel den Eltern technologisch auch noch voraus sind. Gewaltfilme und Pornos im Internet? Alles ist möglich. Diese Themen sind mindestens so wichtig wie die Frage, ob nach der Bundestagswahl noch ein paar Vätermonate rauszuhauen sind.

Kinder bedeuten zu oft die berufliche Abseitsfalle

Es ist ja auch schön, dass heutzutage Kinder mehr von Opa und Oma haben als alle Generationen zuvor. Nachzudenken wäre aber mehr als bislang über die Frage, weshalb ein Drittel aller Akademikerinnen ohne Nachwuchs bleibt. Kinder bedeuten für sie zu oft die berufliche Abseitsfalle. Und dass berufstätige Frauen noch immer nicht gleich bezahlt werden wie Männer auf vergleichbaren Posten, ist ebenfalls eine politische Aufgabe, der sich vor allem die CDU/CSU endlich in der politischen Praxis so energisch zuwenden müsste, wie es ihre verantwortliche Ministerin bislang mit Worten tut.

Wir brauchen keine Propaganda für mehr Familie, für mehr Kinder, für mehr Glück. Das Land braucht ein gesellschaftliches Umfeld, in dem ein Kind nicht unverzüglich zum Problem für die Eltern wird, wo Frauen nicht unverzüglich um ihren Arbeitsplatz zittern müssen, wenn sie ein Kind bekommen.

Das reale Leben ist entscheidend

Sagen wir es so: In einer Republik, in der für Kinderwindeln immer noch mehr Umsatzsteuer bezahlt werden muss als für Hundefutter, möge man uns mit politischer Schönfärberei und falschen Geburtenzahlen verschonen. Auf diese Zahl kommt es nicht an. Auch nicht auf demoskopische Stimmungsbilder. Sondern auf das reale Leben, das auf die Kinder wartet.

Die sieben Kinder der Ursula von der Leyen hatten damit kein Problem. Ihre Mutter ist Ärztin gewesen, ihr Opa, der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht, konnte jederzeit für eine behütete Jugend seiner sechs Kinder und seiner Enkel garantieren. In Berlin-Neuköln ist alles ganz anders.