Grünen-Parteitag Özdemir steht in den Startlöchern

Bütikofer geht - Özdemir soll kommen: Auf ihrem Parteitag in Erfurt wählen die Grünen am Nachmittag einen neuen Vorsitz. Cem Özdemir und Claudia Roth sollen die Partei gemeinsam führen.

Mit dem türkischstämmigen Cem Özdemir an der Spitze wollen die Grünen auf einem Kurs der Erneuerung in die Bundestagswahlkampf ziehen. Noch nie stand ein Politiker aus einer Zuwandererfamilie an der Spitze einer deutschen Partei. Von dem Realpolitiker erhofft sich die Partei neue Wähler unter Zuwanderern und jungen Menschen. Auf dem Bundesparteitag in Erfurt stand am Samstagnachmittag zudem Parteichefin Claudia Roth zur Wiederwahl.

Mit großer Mehrheit verabschiedeten die knapp 800 Delegierten ein umfassendes Konzept zur Bewältigung der Finanzkrise. Angelehnt an die US-Politik gegen die Wirtschaftsdepression der 30er Jahre fordern sie unter dem Titel "Grüner New Deal" ein Bündel von sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Reformen.

Die Partei warnte davor, Finanz-, Klima- und Sozialkrisen unabhängig voneinander zu bekämpfen. US-Präsident Franklin D. Roosevelt hatte in den 30er Jahren mit seinem "New Deal" der Weltwirtschaftskrise Reformen auf breiter Ebene entgegengesetzt. Die von den Grünen geforderten Investitionsprogramme belaufen sich auf mindestens 20 Milliarden Euro - eine genaue Summe wurde nicht genannt.

Merkel Versäumnisse vorgeworfen

Fraktionschef Fritz Kuhn warf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schwere Versäumnisse bei der Krisenbewältigung vor. So sei eine Steuerbefreiung für Autos "großer Mist". Finanzexperte Gerhard Schick rief den beinahe 800 Delegierten zu: "Wir brauchen eine neue Regulierung der Märkte." Die Partei verlangt eine strikte Regulierung des "entfesselten Finanzmarktes" und eine bessere Aufsicht über seine Akteure, "um nicht die Allgemeinheit die Rechnung der Zocker zahlen zu lassen". Nach Milliardenhilfen für die Banken müsse der Finanzsektor auch per Sonderabgabe zur Kasse gebeten werden können. Dem von der Bundestagsfraktion bereits beschlossenen Konzept von Schecks an die Bürger zum Kauf energiesparender Geräte erteilte der Parteitag überraschend eine Absage.

Mit Spannung wurde die Wahl Özdemirs und Roths sowie der gesamten Führungsspitze erwartet. Özdemir hatte angedeutet, die Grünen wieder stärker als Protestpartei positionieren zu wollen. Die Grünen müssten sich als Gegenspieler zur großen Koalition profilieren, sagte er. Der 42-Jährige folgt auf Parteichef Reinhard Bütikofer (55) nach, der die Partei bei seinem Abschied am Vortag eindringlich zu einer Erneuerung und zur Offenheit für neue Wähler aufrief.

Bei den Parteiratswahlen galt vor allem das Abschneiden von Fraktionschef Fritz Kuhn als offen. Ihm wird von einigen Mitgliedern intern autoritärer Stil sowie öffentlich zu wenig grüne Pointierung vorgehalten. Den Delegierten rief er eindringlich zu: "Das ist die Stunde grüner Konzepte."

Mit Künast und Trittin in den Bundestagswahlkampf

Zum Abschluss des Parteitags sollen am Sonntag die beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl bestimmt werden. Die Bundestagsfraktionsvorsitzende Renate Künast und ihr Stellvertreter Jürgen Trittin sind die einzigen Kandidaten. Beide wollen die Grünen als selbstbewusstes Kraftzentrum in die Wahlauseinandersetzung im September kommenden Jahres führen. Welche Koalitionspartner für die Grünen dabei infrage kommen, halten sie offen.

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