Günter Schabowski Der Maueröffner

Er ist in die Geschichte eingegangen als der Mann, der aus Versehen die Mauer öffnete. Günter Schabowski wusste wohl selbst nicht genau, was er tat. Längst wird das ehemalige SED-Politbüromitglied von Ex-Weggefährten als Verräter verdammt.

Mit einer fast beiläufigen Bemerkung hatte Günter Schabowski am 9. November 1989 für eine Weltsensation gesorgt. Auf einer Pressekonferenz in Ost-Berlin verkündete das Mitglied des höchsten DDR-Machtzirkels ganz nebenbei die Öffnung der Berliner Mauer. So mancher Beobachter hatte zunächst einen Versprecher vermutet. Später sagte Schabowski, der am 4. Januar 75 Jahre alt wurde: "Niemand konnte sich die Konsequenz der Maueröffnung vorstellen."

Heute sagt der einstige SED-Spitzenfunktionär, er trauere der DDR nicht nach. "Es war mehr als eine Wende, es war der Vollzug einer Notwendigkeit". Als erster aus der SED-Spitze hatte Schabowski Abgesandte der Bürgerbewegung "Neues Forum" empfangen und versucht, die Wende mitzugestalten. Doch viele nahmen ihm seine persönliche Wandlung nicht ab. Bei der großen Demonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989 wurde er lautstark ausgepfiffen.

"Die DDR ist an sich selbst zu Grunde gegangen"

Für die SED-Nachfolgepartei PDS, die ihn zusammen mit Egon Krenz im Januar 1990 aus ihren Reihen ausschloss, findet Schabowski nur noch harte Worte. Die "Knallköppe von der PDS" hingen mit ihrem begrenzten Horizont stur alten Vorstellungen an und verurteilten ihn als Abtrünnigen. Er bekenne sich zu Mitverantwortung und moralischer Schuld. "Die DDR ist an sich selbst zu Grunde gegangen, weil sie ein untaugliches System darstellte", sagt der einstige Hardliner 14 Jahre nach ihrem Untergang. Es bringe nichts, "in dumpfer Verweigerung der Realität zu verharren".

"Wenn man feststellen muss, dass man mit seinen Vorstellungen und Intentionen gescheitert ist, muss man nach ehrlichen Antworten suchen", umreißt Schabowski seine Maxime. Die PDS tue dies in seinen Augen nicht. Schabowski hatte schärfer und früher als alle anderen Spitzenfunktionäre mit seiner Vergangenheit gebrochen.

Als ihm neben dem letzten DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz vor dem Berliner Landgericht der Prozess gemacht wurde, räumte der Ex-Politiker ein, nichts könne rechtfertigen, dass auch nur ein einziger Flüchtling, "der uns den Rücken kehren wollte, dafür mit dem Leben bezahlen musste". Damit ging er in dem Politbüro-Prozess auf deutliche Distanz zu Krenz. Auch heute findet er es "einfach peinlich", dass bei seinem einstigen Chef die kritischen Einsichten fehlten.

Verurteilung zu drei Jahren Haft

Im August 1997 verurteilte das Berliner Landgericht Schabowski wie das Politbüromitglied Günther Kleiber wegen Totschlags zu drei Jahren Haft. Krenz bekam sechseinhalb Jahre. Die Berliner Richter urteilten, dass auch Schabowski zu den Verantwortlichen des menschenverachtenden Grenzregimes zwischen Ost und West gehörte.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Im November 1999 bestätigte der Bundesgerichtshof die Urteile. Schabowski und Kleiber akzeptierten sie. Beide wurden im September 2000 begnadigt und nach weniger als einem Jahr aus dem offenen Vollzug aus dem Berliner Gefängnis Hakenfelde entlassen. Krenz, dessen Beschwerden sowohl vom Bundesverfassungsgericht als auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abgelehnt wurden, kam erst im Dezember 2003 vorzeitig auf freien Fuß.

Der in Anklam als Sohn eines Klempners geborene Schabowski übernahm im März 1978 die Leitung des SED-Massenblattes "Neues Deutschland". 1984 gelang dem Absolventen der Moskauer KPdSU- Parteihochschule und diplomierten Journalisten der Aufstieg als Vollmitglied ins Politbüro der SED, dem höchsten DDR-Machtgremium.

Einsichten statt Reue

Als Schabowski 1985 Chef der Berliner SED-Bezirksleitung wurde, gab er den Posten als Chefredakteur auf. Neben Krenz war Schabowski in der Endphase der DDR als Nachfolger des greisen Erich Honecker gehandelt worden. Ihm war eine Kurswende zu Reformen noch am ehesten zugetraut worden. "Es geht nicht um Reue, sondern um Einsichten", sagt Schabowski heute. Seinen Geburtstag will er im Kreise seiner Familie so "unpathetisch wie möglich" feiern.

DPA
Jutta Schütz

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