Was hat sich Günther Oettinger dabei nur gedacht? Im wohlwollenden Fall lässt sich über seine Trauerrede auf den verstorbenen ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Karl Filbinger sagen: Nichts, schlankweg nichts. Im politisch sehr wahrscheinlichen Fall: Er hat massive Geschichtsklitterung betrieben. Zum eigenen persönlichen Schaden, denn natürlich wird jetzt wieder - und dies nicht zu Unrecht - die Frage gestellt werden, weshalb Oettinger seinen bundespolitischen Anspruch, um den er sich so sehr bemüht, ohne Not mit einer zumindest fahrlässigen Rede in Frage gestellt hat. Aber auch beim Blick auf die Würde des Todes, auf die auch ein Filbinger Anspruch hat, redete Oettinger zum Schaden des Verstorbenen.
Landespolitische Verdienste gibt es ja gewiss
Es wäre ein Leichtes gewesen, die Verdienste des langjährigen Landesvaters ohne uneingeschränkte Rechtfertigung des Marinerichters zu würdigen, der Filbinger eben auch gewesen ist. Diese landespolitischen Verdienste gibt es ja gewiss. Er hat sich sehr verdient gemacht, indem er die ehemaligen Länder Baden und Württemberg nach der Zwangsvereinigung zu einem kraftvollen Bundesland machte.
Weshalb also noch einmal den "furchtbaren Juristen" thematisieren, den der Schriftsteller Rolf Hochhuth zu Recht angegriffen hat? Unverantwortlich die Berater, die Oettinger den Filbinger-Satz zitieren ließen, es gebe "kein Urteil von Hans Filbinger, durch den ein Mensch sein Leben verloren hätte." In mindestens einem Fall trug Filbinger die Mitverantwortung für ein Todesurteil gegen einen Marinesoldaten. Er war in der Tat ein uneinsichtiger Marinerichter, der NS-Gesetz noch nach dem Tode Hitlers gnadenlos befolgte. Er war ein Mann, der dem NS-Regime mit keinerlei erkennbarer Distanz diente. Wer wie Oettinger das Verhalten der Person Filbinger während der Nazi-Diktatur nachträglich in eine Art Widerstandskampf gegen das NS-Regime umdeuten will, muss sich fragen lassen, mit welchen Motiven er auf diese Weise unstrittige Fakten schönt.
Tatsache ist doch, dass Filbinger selbst in unentschuldbarer Selbstgerechtigkeit zeitlebens seine juristische Liebedienerei gegenüber den Nazis für politisch korrekt erklärt hat. Von einem Wort der Entschuldigung gegenüber seinen Opfern ganz zu schweigen. Von trotziger Uneinsichtigkeit zeugt auch die Behauptung, was damals Recht gewesen sei, könne heute nicht Unrecht sein. Nein, auf Hans Karl Filbinger ist nicht einmal die Einstufung als "Mitläufer" wie Millionen anderer Deutscher zutreffend. Er war auf seine Art Systemstütze.
Oettinger muss sich zudem fragen lassen, ob er damit der Würde des Toten, der dienen zu wollen er vorgibt, nicht den größtmöglichen Schaden zugefügt hat. Noch einmal wird die Zeitgeschichte aufgewühlt, noch einmal der Geist vorgeführt, der Hitler möglich gemacht hat - und den die Bundesrepublik viele Jahre verdrängt hat.
Keine Entschuldigung für dieses Niveau
Weshalb nur? Vielleicht, weil Günther Oettinger zu sehr auf die konservative Klientel seiner CDU in Baden-Württemberg geschielt hat. Noch immer ist in deren Reihen unvergessen, wie er Vorgänger Erwin Teufel aus dem Amt gedrängt hat. Für opportunistische Parteipolitik auf diesem Niveau gäbe es allerdings keine Entschuldigung. Kein Zufall, dass Kanzlerin Angela Merkel für ihre Verhältnisse blitzschnell und völlig eindeutig auf Distanz gegangen ist.