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Hartz-IV-Debatte Ohne Mindestlohn geht es nicht

Wenige Monate vor der NRW-Wahl entdecken die Parteien ihr Herz für Hartz-IV-Empfänger. Die aktuelle Debatte greift aber zu kurz. Ohne einen vernünftigen Mindestlohn sind viele Reparaturen vergebens.
Ein Kommentar von Christoph Schäfer

Derzeit wird auf der politischen Bühne ein Stück aufgeführt. Es heißt "Wir entdecken unser Herz für Hartz-IV-Empfänger". Es handelt von dem Versuch, sich dem Wahlvolk links anzudienen. Inhaltlich aber geht es um die zentrale Frage: Was muss geschehen, um Langzeitarbeitslose wieder in Lohn und Brot zu bringen?

Gong. Der erste Akt beginnt. Es tritt auf: Jürgen Rüttgers, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen. Der bisweilen als "Robin Rüttgers" geziehene, der sich im Mai der Wiederwahl stellt, gibt eines seiner berühmten Interviews, diesmal der "FAZ". Weil die ehemalige SPD-Hochburg an Rhein und Ruhr mit der üblichen CDU-Rhetorik nicht zu gewinnen ist, positioniert er sich als Kämpfer für die soziale Gerechtigkeit - und fordert eine "Grundrevision" von Hartz-IV. Die Verantwortlichen der Bundes-CDU wiederum haben Rüttgers in offiziellen Statements ebenfalls Recht gegeben und versprochen, alles zu prüfen und gegebenenfalls zu verbessern.

Gong. Die Opposition tritt auf. SPD, Linke und Grüne, sie alle pflichten Rüttgers' Zielen bei, aber unterstellen ihm Täuschung. Den Herz-Jesu-Sozialisten gaukele er dem Wähler nur vor, geifern sie. Dennoch zieht Ritter Sigmar Gabriel, Führer der SPD, nach und fordert die Revolution: Auch die SPD wolle Hartz-IV reformieren.

Der Regelsatz lässt sich nicht weiter senken

An diesem Punkt des Schauspiels wartet das Publikum nun gebannt auf den dritten Akt. Über Erfolg oder Misserfolg der Aufführung entscheidet vor allem, ob sich die Hauptdarsteller in der Bundesregierung endlich dazu durchringen können, die alles entscheidende Frage bei der Arbeitsmarktpolitik zu bejahen: die Einführung eines Mindestlohns. Alles andere greift zu kurz.

Denn eins ist klar: Der Regelsatz lässt sich schlicht nicht weiter senken. Der derzeitige Satz von 359 Euro im Monat (Miete und Nebenkosten werden extra erstattet) garantiert schon jetzt nur das wirtschaftliche Überleben. Wer hingegen die Hinzuverdienstmöglichkeiten erhöhen will, was an sich ein sinnvoller Vorschlag ist, der hat ein Problem: Er gerät mit dem untersten Tarifgefüge in Konflikt. Sprich: Hartz-IV plus Miete plus Hinzuverdienst bringt mehr Geld ins Portmonee als beispielsweise ein Friseur netto verdient. Wer möchte, dass Hartz-IV-Empfänger mehr hinzuverdienen, muss gleichzeitig ein Minimum für alle Arbeitenden einführen: den Mindestlohn.

Ohne Mindestlohn ist alles nichts

So weit geht Jürgen Rüttgers in seinem Interview freilich nicht. Zwar fordert er pauschal, dass sich "Leistung wieder lohnen" müsse. Darunter verstehen seine Parteifreunde jedoch zumeist nur niedrigere Regelsätze oder bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten.

Alle Lippenbekenntnisse für Rüttgers werden wahrscheinlich nicht dazu führen, dass sich in der Union eine Mehrheit für den Mindestlohn ausspricht. Zwar versprechen Politiker seit Jahren ein "Grundkonzept für den Niedriglohnsektor", aber bis heute liegt keines vor. Dabei wären die Grundzüge eines solchen Konzepts denkbar einfach: Der Regelsatz bleibt am heutigen Minimum, die Hinzuverdienstmöglichkeiten werden deutlich ausgeweitet. Im Gegenzug garantiert ein vernünftiger Mindestlohn, dass der Abstand zwischen arbeitender und nicht-arbeitender Bevölkerung gewahrt bleibt.

Alles wartet auf das Veto aus Karlsruhe

Weil die Akteure wissen, dass sie eine echte, sinnvolle Reform der Arbeitsmarktpolitik wohl nicht hinbekommen, verlagert sich die Diskussion derzeit auf kleinere Stellschrauben oder solche, an denen die Politik bald sowieso drehen muss. Jeder Experte weiß beispielsweise, dass das Bundesverfassungsgericht die Hartz-IV-Sätze für Kinder demnächst als unzureichend verwerfen wird. Die damalige Regierung Schröder orientierte sich nicht am tatsächlichen Bedarf, sondern bewilligte dem Nachwuchs pauschal 60 bis 80 Prozent des Regelsatzes von 359 Euro im Monat. Das werden die Verfassungsrichter dem Gesetzgeber nicht durchgehen lassen, heißt es. In der Folge werden die Sätze wohl steigen.

Auch an der Forderung, Alleinerziehende stärker zu fördern, führt kein Weg vorbei. Wenn 40 Prozent aller alleinerziehenden Mütter in Deutschland von Hartz-IV leben, versagt hier der Grundsatz des "Forderns und Förderns". Die Betroffenen brauchen mehr Hilfe bei der Kinderbetreuung, um überhaupt eine bezahlte Arbeit aufnehmen zu können.

Knallharte Sanktionen

Eine weitere Stellschraube, die Forderung nach härteren Sanktionen, kann hingegen gar nicht weiter angezogen werden. Schon jetzt sind die bestehenden Sanktionsmöglichkeiten für "Arbeitsverweigerer" knallhart. Mit dem "Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende" wurde Mitte 2006 der Spielraum für Verschärfungen ausgereizt. Wer eine Stelle ablehnt, dem werden in aller Regel schon heute für drei Monate 30 Prozent des Regelsatzes gestrichen. Bei der zweiten Weigerung 60 Prozent. Bei der dritten gibt es keinen Cent mehr, auch nicht für die Miete. Oft genug ist der Ruf nach Sanktionen ohnehin ein Scheinargument: Bei rund 3,3 Millionen Arbeitslosen und fast sieben Millionen Hartz-IV-Empfängern gibt es nicht mal ansatzweise genug offene Stellen, die man angeblichen Arbeitsverweigerern anbieten könnte.

Für das derzeitige politische Schauspiel sind alle Fragen jenseits des Mindestlohns dennoch sekundär. Solange sich die Regierung nicht ernsthaft für eine Lohnuntergrenze ausspricht, sind fast alle Debatten über eine Hartz-IV-Reform nur Farce.

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