Die schwarz-gelbe Koalition bleibt trotz offenkundig steigender Nervosität wegen der Wahl in Nordrhein-Westfalen bei ihrem bisherigen Kurs in der Steuerpolitik. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm wies am Donnerstag einen Medienbericht zurück, wonach die Parteichefs von CDU, CSU und FDP einen Strategiewechsel planten und ihre Entlastungspläne doch schon vor der NRW-Wahl am 9. Mai präsentieren wollten. Auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle von der FDP sagte dazu: "Da ist nichts dran."
Die "Süddeutsche Zeitung" hatte berichtet, die Koalition erwäge, noch im April eine gemeinsame Steuerreform zu präsentieren, die allerdings deutlich abgespeckt wäre. So könnte das Entlastungsvolumen von ursprünglich geplanten knapp 20 Milliarden auf fünf bis zehn Milliarden Euro reduziert werden.
Nach Darstellung aus Koalitionskreisen war die Steuerpolitik zwar Thema beim Koalitions-Spitzentreffen am Dienstag, dort sei aber keine neue Strategie verabredet worden. In der Bundesregierung hieß es ergänzend, die Steuerschätzung werde abgewartet, und erst danach werde im Lichte neuer steuer-, finanz- und arbeitsmarktpolitischer Daten entschieden. Die Schätzung in der Woche vor der NRW-Wahl soll Aufschluss über den Finanzspielraum für Entlastungen geben.
FDP signalisiert Einlenken
Der "SZ" zufolge sollten die Grundzüge des neuen Konzepts am Sonntag bei einem weiteren Sechs-Augen-Gespräch von Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Guido Westerwelle (FDP) besprochen werden. Im Zentrum sollte die Bekämpfung der kalten Progression stehen, die automatisch Gehalterhöhungen auffrisst. Zudem sollten die unteren Einkommensklassen entlastet werden. Wilhelm erklärte dazu jedoch, das Thema Steuern werde bei dem Treffen am Sonntag überhaupt nicht auf der Tagesordnung stehen.
Der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Volker Wissing, sagte: "Es gibt keine neuen Absprachen." Die FDP werde wie geplant ihre Vorstellungen zur Konkretisierung des Koalitionsvertrags auf dem Parteitag im April beschließen. Nach der Steuerschätzung werde die Koalition Entscheidungen treffen.
Trotz aller Dementis kommen sich die Koalitionsparteien offenbar in der Frage der Steuerreform näher. Aus Koalitionskreisen hieß es, dass die FDP sich in einigen Punkten "flexibler" zeige als bisher. So seien statt des bisher vertretenen Drei-Stufen-Modells in einem neuen Einkommensteuertarif auch vier oder fünf Stufen denkbar. Beim zeitlichen Ablauf gelte, dass "spätestens 2012" die Steuerreform umgesetzt sein müsse. Offen ist die FDP demnach bei der Frage, wieviel Entlastung 2011 und wieviel 2012 verwirklicht werden solle.
CSU schweigt
Nichts zu hören zu den jüngsten Spekulationen gab es indes aus Bayern. Und so passt es, dass es aus dem Regierungsbündnis hieß, die CSU versuche offenbar, die FDP in der Steuerpolitik vor sich her zu treiben. In der Union herrscht sei Monaten großer Zweifel, ob sich die im Koalitionsvertrag mit der FDP vereinbarten weiteren Steuerentlastungen überhaupt finanzieren lassen. Die Partner hatten für die Legislaturperiode Steuererleichterungen von 24 Milliarden Euro verabredet. Davon sind 4,6 Milliarden Euro zum 1. Januar bereits für Familien umgesetzt worden. Der nächste Reformschritt soll "möglichst" zum 1. Januar 2011 folgen.
Eine Gegenfinanzierung der Reformpläne schiebt die Koalition bisher vor sich her. Vor der Wahl in NRW steigt jedoch die Sorge vor einer Schlappe: Die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf hat in Umfragen keine Mehrheit mehr. Sollte sich der Trend bestätigen, verlören Union und FDP nicht nur die Regierungsmehrheit im bevölkerungsreichsten Bundesland, sondern auch ihr knappes Stimmenübergewicht im Bundesrat.

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Opposition spricht von "Steuerpanik"
Die Grünen erklärten, der Koalition bleibe ihr "Hauptstreitthema" erhalten. "Schwarz-Gelb ist vor der NRW-Wahl tief verunsichert und ideenlos", kritisierte Finanzexpertin Christine Scheel. Die Debatte zeige aber auch, dass Schwarz-Gelb trotz der Rekordverschuldung im Bundeshaushalt "leider nach wie vor in unsozialen und unfinanzierbaren Steuerfantasien denkt". Hinter den Kulissen aber scheine jetzt auch die Koalition "wie wild daran zu arbeiten, wie sie von der angekündigten großen Reform wegkommt".
Der SPD-Fraktionsvize Joachim Poß sprach von "Steuerpanik in Schwarz-Gelb". Die Koalition verspiele mit unseriösen Konzepten jedwede finanzpolitische Glaubwürdigkeit, auch international.