Die tektonischen Verschiebungen in der politischen Landschaft Bayerns erreichen auch den Hausherrn von Schloss Bellevue in Berlin: Bundespräsident Horst Köhler hat für seine Wiederwahl in der Bundesversammlung rein rechnerisch zwar immer noch eine hauchdünne Mehrheit. Doch nun sind auch ein paar unsichere Kantonisten mehr an Bord, wenn am 23. Mai 2009 über das höchste Staatsamt entschieden wird. Möglich ist plötzlich alles.
Kein Befund zur neuen politischen Lage in Bayern wurde am Wahlsonntag schon kurz nach 18 Uhr mit solch bedeutungsschwerer Miene vorgetragen wie der von der "Aufsplitterung des bürgerlichen Lagers": Wo früher die CSU weitgehend allein zu Haus war, muss sie sich die Wählergunst nun mit FDP und Freien Wählern teilen. Doch was aus Unionsmund vorderhand als Beruhigung an die eigene Adresse gedacht war, dass nämlich "Sozis" und "Linke" wenigstens nicht vom eigenen Wahldesaster profitieren konnten, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als wenig tröstlicher Tatbestand. Der Erosionsprozess der Volksparteien hat nun auch Bayern erreicht, ein weiterer Schritt Richtung neuer Unübersichtlichkeit ist getan. Mögen die einzelnen "Lager" noch existieren, in sich beweglicher und somit instabiler geworden sind sie aber allemal. Neue Interessenlagen entstehen so leichter. Neue Konstellationen sind möglich.
Schwarz-gelber Vorbote
Für Horst Köhler ist dies an sich noch kein Drama - nur beruhigt zurücklehnen kann er sich eben auch nicht. Zwar haben Union, FDP ohnehin und nun auch die Freien Wähler signalisiert, ihm zu einer zweiten Amtszeit verhelfen zu wollen. Doch wie verlässlich die "eigene Mehrheit" von 613 oder 614 Stimmen in der 1224 Delegierte umfassenden Bundesversammlung ist, kann heute niemand mit Gewissheit vorhersagen. Zumindest in den ersten beiden Wahlgängen, wo die absoluten Mehrheit nötig ist, ist Köhler deshalb in einem ähnlichen Dilemma, wie demnächst Andrea Ypsilanti in Hessen. Der Erfolg hängt an einem äußerst dünnen Faden - im Schutz der Anonymität darf es keinen Abweichler geben. Und krank werden sollte an diesem Tage tunlichst auch niemand.
Köhlers Problem am 23. Mai 2009 wird noch ein zweites sein: Als Symbol für den Aufbruch in eine neue politische Ära taugt der erste Mann im Staat nicht mehr. Dieses Manöver ist beim letzten Mal gründlich schief gegangen, als der politische Quereinsteiger im Frühjahr 2004 eigentlich als Vorbote einer schwarz-gelben Zukunft herhalten sollte. Doch von einer schwarz-gelben Koalition auf Bundesebene ist die Republik nach dem Ergebnis in Bayern weiter entfernt denn je. Köhler wird sich bei der Wahl deshalb weniger auf politische Symbolwirkung denn auf seinen Amtsbonus verlassen müssen. Und auch ein Paradoxon könne Köhler über die Hürde helfen. Denn die Wahl seiner Mitbewerberin Gesine Schwan würde im linken Lager exakt jene Symbolwirkung entfachen, die ihm vor fünf Jahren versagt geblieben ist. Köhler kann deshalb darauf hoffen, dass die Angst vor der Wirkung einer Schwan-Wahl die eigenen Reihen zusammenhält.
Für Köhler kann das im dritten Wahlgang ausreichen. Es muss aber nicht. Der Bundespräsident wird um sein Amt kämpfen müssen. Für das Superwahljahr 2009 heißt das: Es wird noch einen weiteren Wahlkampf geben.