Nach 14 Tagen Krieg im Irak: Fühlen Sie sich über das Geschehen am Golf gut informiert?
Ja, ich fühle mich gut informiert im Vergleich zum zweiten Golfkrieg. Ich gehöre allerdings auch, zu jener Bevölkerungsschicht, die mehr als ein Medium nutzt. Ich nutze mehrere Sender, darunter auch englischsprachige wie CNN oder französische, lese alles von Bildzeitung bis Süddeutsche und höre Radio. Das ist also eine völlig untypische Informationssituation für Otto-Normal-Verbraucher. Daher fühle ich mich informiert, finde aber nicht, dass sich der normale Bürger informiert fühlen sollte. Wahrscheinlich haben die meisten Leute aber den Eindruck, sie seien bestens im Bilde, weil sie zur Zeit mit Informationen geradezu bombardiert werden.
Warum sollte man sich nicht gut informiert fühlen?
Das liegt auf der Hand. In jedem Krieg werden Medien instrumentalisiert, je nach Sichtweise und Kommunikationsziel. Das ist nicht wirklich neu. Die Berichterstattung über diese Art von Einfluss- oder Manipulationsversuchen ist allerdings diesmal sehr ausführlich. Eine gute Portion Skepsis ist dennoch immer von Nöten.
Nimmt nicht die Kritik an der Berichterstattung zur Zeit mehr Platz ein als die Berichterstattung über den Krieg?
Nein, das stimmt nicht, selbst wenn es so scheinen mag. Ich wünschte mir, dass diese Form der Reflexion außerhalb von Kriegszeiten ebenfalls stattfände. Auch in Zeiten des Friedens sollten sich Leser und Zuschauer für die Entstehungsgeschichte einer Nachricht interessieren.
Professor Dr. Romy Fröhlich
Die Professorin für Kommunikationswissenschaften und Medienforschung lehrt an der Universität München. In Forschung und Lehre vertritt Romy Fröhlich die Schwerpunkte Public Relations, Mediengeschichte und Nachrichtenforschung.
Gibt es Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Fernsehsendern?
Zunächst einmal gibt es einen Unterschied zwischen der Berichterstattung amerikanischer und europäischer Sender. Das hängt auch mit der amerikanischen Tradition des Journalismus zusammen, der sich eher in der Chronistenrolle versteht als in der Rolle des Kommentators. Die eigentliche Kriegsberichterstattung leidet sehr unter dem Aktionismus und Sensationalismus, der durch das "embedding" ausgelöst wurde. In deutschen Medien geht es mehr um Hintergründe und Meinungen. Da wir keine Kriegspartei sind, findet man hierzulande vor allem nicht diese Betroffenheit von Seiten der Journalisten vor. In den USA wird ja der Schalter umgeklappt, sobald die Truppen losmarschieren. Patriotismus tut einer objektiven Berichterstattung nie gut.

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Wie hat sich die Berichterstattung im Vergleich zum letzten Golfkrieg verändert?
Sie hat sich dramatisch verändert. Die Amerikaner haben die Kritik an ihrer Informationspolitik aus dem 2. Golfkrieg sehr ernst genommen und entsprechend reagiert. Sie haben das "embedding" erfunden. Außerdem liefern sie nicht mehr nur diese klinischen Video-Game-Bilder wie im letzten Golfkrieg. Dazu haben wir eine Technikevolution hinter uns, die mit den verwackelten Bildern der Videophones selbst wieder eine bestimmte Botschaft vermittelt. Drittens haben wir einen zunehmend konzentrierten Medienmarkt, und auch im TV-Bereich etwa ist die Konkurrenz viel größer geworden. Das alles trägt zur veränderten Berichterstattung bei.
Hinzu kommt, dass die Ereignisse vom 11. September 2001 eine neue Art von "Schauen und Wiedergeben" gelehrt haben, nach der jetzt solche Katastrophen vermittelt und aufgenommen werden. Noch nie zuvor waren Kameras live bei solchen Katastrophen dabei. Diese Art der Nachrichtenübermittlung und -aufnahme hat geprägt. Und darauf bezieht sich auch die jetzige Berichterstattung. In der Nacht, in der das Ultimatum an die irakische Führung auslief, veranstalteten fast alle Sender eine Art Countdown. Das erinnerte an den 11. September 2001, als wir vor dem Fernseher saßen und live dabei waren, als die Towers zusammenstürzten. Dadurch ist eine optische Ästhetik geprägt worden, die ich bei der Berichterstattung in den ersten drei Tagen dieses Krieges wiederentdeckt habe.
Wie bewerten Sie das?
Persönlich, nicht als Wissenschaftlerin, halte ich das für einen Sündenfall. Nach dem Motto "Seien sie bei uns dabei, wenn die erste Bombe fällt". Das war die Botschaft zwischen den Zeilen. Ich denke, so etwas kann man nicht machen.
Wollen die Menschen das überhaupt rund um die Uhr sehen?
Teile der Bevölkerung bestimmt, allerdings denke ich, dass die Einschaltquoten mittlerweile auch zeigen, dass eine bestimmte Sättigung erreicht ist. Es wird wieder viel mehr Unterhaltung und Normalprogramm gesendet. Fernsehanstalten wie N-tv stellen natürlich die Ausnahme dar. Sie senden rund um die Uhr und sind ja auch zum Reinzappen gedacht. Solche Sender sollen zu jeder Tages- und Nachzeit zu einem individuellen Zeitpunkt vom Publikum genutzt werden können und aus diesem Anspruch heraus müssen sie Nachrichten in Endlosschleife bringen.
Wie fließend ist dabei die Grenze zum Infotainment?
Das Runterzählen der Deadline beispielsweise in der ersten Bombennacht im Irak hat insofern Infotainmentcharakter, als es auf Spannung setzt. "Fallen jetzt Bomben" und "Bin ich live dabei?" Ansonsten findet sich dieser Infotainmentcharakter etwa in der Berichterstattung von den Flugzeugträgern. Auch dort sind Journalisten „embedded“ und zeigen hauptsächlich Kriegsmaschinerie und -technik. Ich will nicht ausschließen, dass das auch unterhaltenden Charakter hat. Allerdings gehöre ich zu jenen Kommunikationswissenschaftlern, die den Ansatz verfolgen, Unterhaltung entsteht beim Publikum und nicht auf der Seite der Macher.
Wie viel Show verträgt die Kriegsberichterstattung?
Gar keine. Das ist ja genau der Trugschluss, dem die Amerikaner zur Zeit aufsitzen. Ich habe mich immer gefragt, wie es sein kann, dass eine der wichtigsten, größten und intelligentesten Mediengesellschaften dieser Welt auf höchster Ebene so viele Kommunikationsfehler machen kann. Ich halte das "embedding" für keine gute Idee der US-Regierung. Das mag vielleicht für Amerikaner noch funktionieren, aber der Rest der Welt, das sehen wir ja, ist gegen diese Art von Propaganda immun.
Wie viel Objektivität kann denn das "embedded"-Programm überhaupt leisten?
Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass Medien "Realität" abbilden. Medien konstruieren immer eigene Realitäten. Die Frage ist nur, wie weit kommen sie der tatsächlichen Realität nahe. Die "embedded correspondents" sind besser als nichts, besonders gegenüber dem, was wir im 2. Golfkrieg hatten. Sie sind direkt am Militär dran und haben zumindest theoretisch das Potenzial, die Leute vor Ort zu befragen. Das Problem ist natürlich, dass sie in eine Struktur eingebettet sind, in der auch Zensur ausgeübt wird oder mit dem Hinweis auf militärische Geheimnisse einiges nicht stattfinden kann. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, als mit der Krim-Krise der erste Krieg medial verbreitet wurde, haben Militärs ein quasi natürliches Bedürfnis, die Medien im Kriegsfall zu kontrollieren.
Was kann man dann noch glauben?
Realitätsnaher als die unkommentierte Live-Schaltung zu den Presskonferenzen des Pentagon geht es nicht. Das ist "reality as reality can". Die Frage ist doch, wie viel Wahrhaftigkeit wollen wir wirklich sehen? Wollen wir Journalisten sehen, die nur die Kamera drauf halten, wenn Soldaten oder Zivilisten erschossen werden? Als aufgeklärte Gesellschaft sind wir in dieser Frage sehr gespalten. Wir haben einerseits die Nase voll von klinischer Kriegsberichterstattung, die vielleicht zensiert oder manipuliert ist. Andererseits finden wir es aber auch nicht gut, wenn abgerissene Körperteile und aufgedunsene Leichen zur besten Abendbrotzeit ins Wohnzimmer flimmern. Eine richtige Mischung ist der goldene Weg. CNN jedenfalls hat eine Botschaft und verfolgt eine Mission. Das muss ich unterstellen, bei dem, was ich da sehe.