Herr Hasselbach, vor fast zehn Jahren sind Sie aus der Neonazi-Szene ausgestiegen. Jetzt erzählen Sie mit dem Regisseur Winfried Bonengel im Spielfilm "Führer Ex" Ihren Werdegang vom DDR-Punk zum Rechtsradikalen. Können Sie mit dem Thema nicht abschließen?
Vor zwei Jahren habe ich mit dem Sozialarbeiter Bernd Wagner und dem stern das Aussteigerprogramm "Exit" gegründet. Ich habe mich aber zurückgezogen, weil ich nicht mehr von Beruf Ex-Neonazi sein möchte. Der Film ist ein guter Abschluss. Obwohl ich nie ganz aus dem Schatten der Vergangenheit treten kann. Das ist wie mit meiner Freundin: Nach dem Ausstieg nannte sie mich scherzhaft "Führer". Ich bat sie, das zu lassen. Sie sagte dann "Führer Ex". So heißt jetzt der Film.
Haben Sie noch mit Ihrer Vergangenheit zu kämpfen
Ich habe immer noch den Körper voller Tattoos. Auf dem Rücken zum Beispiel eine Germania mit drei Hakenkreuzen, zu groß und zu teuer, um sie zu entfernen. Deswegen gehe ich nicht ins Schwimmbad. Aber ich meide ohnehin öffentliche Plätze oder Verkehrsmittel. An meinem Arbeitsplatz weiß nur einer, was ich früher gemacht habe. Aus Angst vor Racheakten leben meine Familie und ich unter anderen Namen an geheimer Adresse. Wir stehen unter Polizeischutz.
Sie werden auch gleich nach diesem Gespräch von der Polizei abgeholt.
Ich muss als Zeuge zu einem Prozess gegen Oliver Schweigert, mittlerweile einer der führenden Neonazis. Da geht es um einen Brandanschlag auf einen Jugendklub 1992, an dem ich beteiligt war, er aber nicht. Vor solchen Gerichtsterminen schlafe ich immer schlecht und rauche zu viel. Da sitzen meine alten so genannten Kameraden. Jedes Mal drohen sie mir: "Dich kriegen wir schon noch."

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Sind bei Ihnen noch Verfahren anhängig?
Sie sind abgeschlossen. Ich bin verurteilt, sämtliche Bewährungsfristen sind abgelaufen. Aber meine Verantwortung als geistiger Brandstifter bleibt. Zum Beispiel im Fall Kay Diesner: Den habe ich ausgebildet, auf den hatte ich großen Einfluss. Und dann ermordet er einen Polizisten.
Der Film vermittelt den Eindruck, das Gefängnis hätte Sie zum Neonazi geformt. Machen Sie es sich da nicht zu einfach?
Der DDR-Knast war schon das Härteste, was ich bisher erlebt habe. Ich kam rein mit 19, wegen versuchter Republikflucht. Ich saß mit Leuten wie dem Ex-Gestapo-Chef von Dresden und Typen wie Heinz Barth, so eine Art Rudolf Hess des Ostens. Der hat 800 Menschen liquidieren lassen. Aber diese Leute haben unseren Hass auf die DDR und den verordneten Antifaschismus verstanden. Sie haben versucht, uns in ihre Richtung zu drücken. Das waren die ersten Ansätze.
Schlüsselszene des Films, der auf Ihrem Buch "Die Abrechnung" basiert, ist eine Vergewaltigung. Die Hauptfigur, die vorher noch auf Nazis schimpfte, wendet sich denen danach zu, um Schutz zu finden.
Ja, das ist ja auch die größte Erniedrigung, die man sich vorstellen kann. Damit machst du jeden kaputt. Und das ist so passiert. Im Gefängnis hat sich keiner um uns gekümmert. Es war, als hätte man uns in der Zelle geparkt und die Schlüssel weit weggeworfen. Wahrscheinlich hätten damals auch die Scientologen kommen können, aber leider sind es die Nazis gewesen.
stern-aktion
Mit der Initiative "Mut gegen rechte Gewalt" sammelt der stern Geld für den Kampf gegen den Rechtsextremismus, u.a. für das Aussteigerprojekt "Exit".
Spendenkonto: 034059629, Deutsche Bank Heppenheim, BLZ 50970004
Aus Dankbarkeit sind Sie dann zu einem Führer der Szene aufgestiegen?
Dank ist das falsche Wort. Ich kann heute noch nicht genau sagen, warum alles so gekommen ist. Für die Kameraden von damals war mein Ausstieg Verrat. Mein bester Kumpel stand im Verdacht, meiner Mutter eine Briefbombe geschickt zu haben. Der will keinen Kontakt mehr mit mir und beschimpft mich als Drecksjuden. Er sitzt im Gefängnis, wegen Mordes.
Wenn Sie nicht ausgestiegen wären: Wären Sie heute noch eine große Nummer?
Ich denke schon. So ein richtiges Schwein. Ich hatte offenbar genug Charisma. Ich war der Ansprechpartner für die Ostszene und bei allen Führungstreffen dabei, mit Michael Kühnen, Gottfried Küssel, Christian Worch. Wir haben Wehrsportlager organisiert, den Umsturz geplant. In einer so genannten Reichsregierung war ich als Finanzminister vorgesehen, obwohl ich nicht mit Geld umgehen kann. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn Winfried Bonengel nicht gekommen wäre und mich auf halbem Weg ausgebremst hätte. Ohne ihn säße ich jetzt nicht hier, ich hätte meine beiden Kinder und meine Frau nicht.
Bonengel drehte damals eine Dokumentation über Ihre Truppe, die "Nationale Alternative". Wie hat er Ihr Vertrauen gewonnen?
Er hat mich ernst genommen und trotzdem zum Zweifeln gebracht. Zum Beispiel, dass wir auf der einen Seite den Holocaust geleugnet und andererseits über Juden in Gaskammern gelacht haben. Irgendwann hat er nur noch gesagt: Ihr seid Arschlöcher.
Was würden Sie machen, wenn Ihre Kinder mal abdriften?
Es wäre absurd, mit meiner Geschichte und halbjüdischer Mutter. Ich würde mit ihnen reden - das hat mir ja bei meinen Eltern so gefehlt, mein Vater hat mich damals nie begriffen. Er ist noch heute von der DDR überzeugt, aber wir sprechen wieder miteinander, er ist ja Großvater.
Haben die rechten Parteien und Kameradschaften Einfluss auf die heutige Politik?
Sagen wir mal so: Es ist für die Szene heute wesentlich einfacher als Anfang der 90er Jahre, ihre Ideologie gesellschaftlich zu verankern. Wir galten damals als spinnert. Heute gibt es Leute wie Roland Koch, die nicht anders reden als wir damals. Wahlkampfparolen von FDP und CDU klingen fast wie die Sprüche der NPD aus den 80ern. Und Jürgen Möllemann ist ein Geschenk für die Szene. Nicht umsonst findet man seine Sprüche auf der NPD-Internetseite. Koch und Möllemann sind wie geistige Brandstifter.