Interview mit Rainer Brüderle "Die Bindung an die CDU blockiert uns"

Auf Liebesschwüre an andere Parteien will sich Rainer Brüderle, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag, im stern.de-Interview nicht mehr festlegen. Auf eine Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP in Hessen setzt er nicht. Die habe die SPD unmöglich gemacht.

Wir grüssen den Lagerinsassen Rainer Brüderle.

Ich bin kein Lagerinsasse, sondern ein Freier Liberaler.

Einspruch, Herr Brüderle. Sagen wir es so: Die FDP erinnert an den Knaben im Sandkasten, der mault: Wenn die Anderen nicht spielen, wie ich will, dann spiel ich lieber alleine. In der Politik ist das kein kindliches, sondern ein kindisches Verhalten.

Wenn man weiter Erfolg haben will, sollte man vor allem die eigenen Stärken und Schwächen analysieren. Und das machen wir auch. Es gibt keinen Anlaß, uns selbst klein zu reden. Die FDP hat sich in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt.

In Hamburg ist die FDP mal wieder gescheitert, was in dieser Stadt ein Kunststück ist. Und Ihr Parteichef Westerwelle beschimpft jetzt Angela Merkel, sie habe keinen schwarz-gelben Wahlkampf geführt. Selbstbewusstsein sieht anders aus. Die FDP erinnert an einen Lagerinsassen, der freigelassen ist, aber nicht rausgehen will.

Es muss uns in der Tat zu denken geben, dass wir in einer urliberalen Stadt wie Hamburg mit einem sympathischen Spitzenkandidaten, einem prominenten Unterstützerkreis und mit Rückenwind aus Berlin den Einzug in die Bürgerschaft verpaßt haben. Wir alle sind uns bewußt, dass wir in Großstädten noch Schwächen haben, die Menschen zu erreichen. Wenn uns das zukünftig besser gelingt, brauchen wir uns auch keine Gedanken mehr über die Fehler der anderen zu machen. Im übrigen bin ich zu lange in der Politik, um mich auf Liebesschwüre und Versprechungen zu verlassen.

Zur Person

Rainer Brüderle, Jahrgang 1945, studierte Publizistik, Jura, Volkswirtschaft und Politischen Wissenschaften. Der Ex-Minister (1987 bis 1994 Wirtschaft und Verkehr und 1994 bis 1998 für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau) ist seit 1973 FDP-Mitglied und seit Oktober 1998 stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag.

Gibt es denn Ihnen nicht zu denken, wie hurtig und freudig erregt Merkel und die CDU nach der Option Schwarz-Grün gegriffen haben? Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Die gleiche Frau Merkel hat auch Mindestlöhne eingeführt, die Arbeitsmarktreformen zurückgenommen und die Steuern erhöht, um ihre Macht zu erhalten. Auch wenn Schwarz-Grün in Hamburg ja noch gar nicht steht und die beiden früheren Antipoden erst einmal ein tragfähiges Regierungsprogramm basteln müßten, glaube ich schon lange nicht mehr an die politische Lagertheorie.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Ist die bedingungslose Bindung der FDP an die Union, die sie seit 2005 betreibt, nicht der direkte Weg in die Selbstisolierung?

Für mich ist einzig und allein die Bindung an unsere Wähler und an unser Programm entscheidend. Wenn diese Bindung gefestigt ist, kann man auch selbstbewußt und ganz pragmatisch überlegen, mit welchen anderen Parteien man zusammenarbeiten kann. Die bedingungslose Fokussierung auf die Union hat es nicht gegeben und darf es nicht geben. Sie würde uns in der Tat selbst blockieren.

Was drängt die FDP denn so nachhaltig an die Seite der CDU, die doch vielfach sozialdemokratische Politik gerne mitmacht?

Es geht hier nicht um Sturm und Drang, sondern um nüchtern-pragmatische Abwägung. Bei allen ordnungspolitischen Sündenfällen der Union ist die programmatische Schnittmenge mit CDU und CSU zur Zeit größer als die mit der SPD - zumindest in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. In der Innen- und Rechtspolitik sieht es anders aus.

Auch Ihre Partei muss doch allmählich begriffen haben, dass die für die FDP so schönen Zeiten als Waagscheißerle-Partei zwischen SPD und CDU/CSU vorbei sind. Wann öffnet ihre Partei sich für Dreier-Koalitionen?

Ich setze immer noch auf stabile Zweier-Koalitionen. Deshalb muß man seine politische Handlungsfähigkeit aber nicht selbst einschränken. Ich bin sehr dafür, daß wir weiter einen selbstbewußten Kurs fahren. Wir sind keine Bindestrich-Liberale oder Lehensleute von roten oder schwarzen Baronen. Wir sind Freie Demokraten, die ihr eigenes Programm umsetzen wollen.

Sie bekämen in Hessen von der SPD den roten Teppich ausgerollt, wenn sie zur rot-gelb-grünen Ampel bereit wären.

Ja, aber der hessische rote Teppich ist so rutschig, daß man schon nach zwei Schritten auf der Nase liegen würde. Die SPD in Hessen hat die Ampel selbst unmöglich gemacht durch ihre Inhalte und ihren persönlichen Umgang.

Haben die Wähler nicht Anspruch darauf, dass die von ihnen gewählte Partei in der Sache möglichst viel bewegt? In Hessen schmeckt FDP nach beleidigter Leberwurst.

Die Wähler haben vor allem Anspruch darauf, daß nach der Wahl gilt, was vorher versprochen wurde. In diesem Sinne schmeckt die hessische FDP eher nach klarem, erfrischendem Quellwasser als nach Leberwurst.

Wie beim Autofahren sollte man auch in der Politik vor allem nach vorne schauen. Wenn die direkte Verbindung zum Ziel gesperrt ist, muß man eben die günstigste Umleitung nehmen, aber so, daß der Wagen keinen Schaden nimmt. Jeder Linksverkehr endet aber im Frontalzusammenstoß. Wir werden rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl entscheiden, ob wir eine und, wenn ja, welche Koalitionsaussage wir machen.

Interview: Hans Peter Schütz