
Geil" ist kein Wort, dass einem normalerweise bei der Bundeskanzlerin einfällt. Genauso wenig "coole Sau". Aber eben diese Worte fielen auf der Treppe nach draußen, nachdem Angela Merkel am Donnerstag vor ausverkauftem Haus im Berliner Gorki-Theater die "Brigitte "-Talkrunde "Frauen wählen!" gerockt hat. Mit einem Schmunzeln und zen-gleich entspannt hat sie die rund 410 Gäste von den Moderatorinnen übernommen und fortan dirigiert. Zum Großteil Frauen waren gekommen, jung, alt, aufgerüscht bis alternativ, und sie hatten auch ein paar Männer mitgebracht. Es war eine beeindruckende Merkel-Show. Ihr erster inoffizieller Wahlkampftermin, wenn man so will.
Am Morgen hatte die Kanzlerin sich noch beim Raumfahrtunternehmen Jena-Optronik in Thüringen Satellitenteile und Sensoren angesehen. Nun saß sie - im gleichen türkis-schwarzen Outfit - zwischen den Frauenzeitschrift-Macherinnen und wurde unter anderem gefragt, was sie an einem Mann attraktiv fände.
"Schöne Augen"
Ganz egal, wie man ihre Politik beurteilen mag, Angela Merkel gilt in diesem Land vielen als moderne Ikone. Und das vor allem weil sie eine Frau ist. Und weil sie in diesem Jahr zur Wiederwahl steht, ist sie an diesem Abend angetreten, ihre weiche Seite zu zeigen, die ihr zu ihrem Schaden immer wieder abgesprochen wird. Kriktiker beschreiben sie als männlich kalt, rational und machtgetrieben. Das Volk darf sie nun menscheln sehen.
Also antwortet sie - nicht ohne irritierte Pause - "schöne Augen" auf die Frage nach den Attributen eines attraktiven Mannes. Und der Saal dankt. Von Anfang an bringt sie die Menschen zum Lachen. Es klingt fast wie ein Witz, als die Moderatorin darauf hinweist, dass bei der Wahl die Person mindestens so wichtig sei wie das Parteiprogramm. Da zieht Merkel eine lustige Schnute und spielt ein bisschen mit den Augenbrauen.
"Ich bin mit mir im Reinen"
Weiter geht's mit Thatcher, der anderen großen Machtpolitikerin, anlässlich deren Todes Merkel mit den Worten zitiert wurde, dass sie sie gern einmal gefragt hätte, ob sie je Selbstzweifel geplagt habe. Damit habe sie Entscheidungsprozesse gemeint, führt Merkel nun aus. Die nähmen bei ihr selbst nämlich immer einen langen Weg des Abwägens. "Ich versuche, mir die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten vor Augen zu führen." Sie möge es nicht, wenn Menschen an einem Tag zu 100 Prozent von etwas überzeugt seien, und drei Tage später ihre Meinung ändern. "Ich nehme mir Zeit, zu meiner Meinung zu kommen. Wenn ich mir genug Zeit genommen habe, bin ich auch der Meinung, dass ich nicht mehr hadern muss. Der Weg wird gegangen. Ich bin mit mir im Reinen." Merkel wie die Leute sie lieben. Denn wer ist schon mit sich im Reinen?!
Jede Frage nimmt sie an, spielt mit ihr und presst mindestens einen Lacher heraus, aber niemals berührt sie dabei ihr Image der Ernsthaftigkeit. "Wenn es ein ernstes Thema ist, dann ist sie auch ernst", sagt ein Theaterangestellter hinterher. Und man fühlt sich kurz an die Emotionalität von Engländern erinnert, die nichts auf ihre Queen kommen lassen.
Schweigen werde in unserer Gesellschaft "zur Rarität", sagt Merkel und erntet Szenenapplaus. "Ich bin der Meinung, dass es früher stiller war." Gebanntes Zuhören. "Aber nun komme ich ja auch vom Lande." Glücklich-entspannte Lacher bis in die letzte Reihe.

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"Ich habe genug Erinnerungen an den Osten"
Unberührbar scheint diese Kanzlerin zu sein, tiefenentspannt, hochkonzentriert, wach und zutiefst ironisch: Zum Thema sprechende Gesichtszüge wirft sie in den Saal: "Ja, die sind bei mir auch sehr ausgeprägt." Eddie Izzard hat kein besseres Timing. Und wieder die ernsthafte, menschliche Einordnung "Ich wär' ja kein richtiger Mensch mehr, wenn man nicht mehr sehen könnte, was man fühlt."
Als die Moderatorinnen ihr Mitleid für das gewaltige Arbeitspensum anbieten, das die Kanzlerin angeblich mit sehr wenig Schlaf meistert, lehnt sie dankend ab, macht deutlich, dass sie alles unter Kontrolle habe, klärt in zwei, drei Sätzen ihre Sachkenntnisse zur Eurokrise, Globalisierung, Digitalisierung. Über den Osten will sie nicht reden, davon "habe ich genug Erinnerungen". Dafür berichtet sie von der ersten, "wunderbaren" Reise in die USA, nach San Diego in Kalifornien, wo man sie nach dem dort üblichen "How are you?" aufgefordert habe, "aus meiner verstockten Uckermarkigkeit ein 'alright' rauszupusten." Sie strahlt, als sie die Situation mit verstellter Stimme nachspielt.
Bei der Quote müsse man "abschichten", sagt sie. Beide Seiten müssten sich ändern. Ja, sie sei religiös, denn das heiße, auch Menschen mit Fehlern zu akzeptieren. Von der Leyen als nächste Kanzlerin? "Ich traue das vielen zu."
Mit 200 km/h über die Show-Autobahn
"Diskutieren Sie mit Ihrem Mann über Politik?" "Ja, manchmal sagt er auch von selbst was." Merkel-Hitler-Bilder? "Ich sehe das. Meine Erfahrung ist, dass Probleme nicht gelöst werden, indem man sich einen Sündenbock sucht." Die Merkel-Raute: "Ich habe nicht für die Namensgebung gesorgt. Die Frage war, wohin mit den Armen. Daraus ist das entstanden. Es zeigt vielleicht eine gewisse Liebe zur Symmetrie." Sie brettert mit 200 km/h über die Show-Autobahn. Niemand kann sie aufhalten.
"Ich dachte, sie wäre die langweiligste Person der Welt, aber die ist ja richtig witzig", sagt eine junge Frau auf der Treppe und nimmt die Tüte mit der Handcreme, die es als Abschiedsgeschenk gibt: "für weichere Hände".
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