Kolumne: Hier spricht der Boomer Was hat die Jugend bloß so brav gemacht?

Von Frank Schmiechen
Schmiechen Jugend
Warum bloß immer so korrekt. liebe Jugend? Fragt sich stern-Gastautor Frank Schmiechen
© Frank Rumpenhorst / DPA
Jugendlich zu sein, bedeutete mal Rock’n’Roll, Drogen und Sex. Heute achten junge Menschen darauf, ob Männer richtig sitzen, das Essen gesund ist – und wollen durch neue Regeln gleich die ganze Welt retten. Was ist bloß passiert, fragt sich unser Gastkolumnist.

Ich gebe es zu: Ich werde den hohen Ansprüchen der jüngeren Generationen nicht gerecht. Bei mir ist zu viel Fleisch in der Pfanne, steht ein Diesel vor der Haustür und meiner Sprache fehlen jede Menge "*innen". Vielleicht bessere ich mich irgendwann. Aber bis dahin stellt sich mir die Frage, warum viele junge Menschen so bieder geworden sind.

  • Auf Facebook lerne ich eine Gruppe von jungen Frauen kennen, die sich geradezu besessen darum kümmert, ob Männer im Bus oder der U-Bahn richtig sitzen oder ihre Beine zu weit spreizen. "Manspreading" ist der Fachausdruck dafür.
  • Gleich darunter wird penibel darauf geachtet, dass alle eine korrekte Sprache benutzen, die niemand beleidigt oder ausschließt. Wer das nicht tut, wird mit ernsten Worten zurechtgewiesen.
  • Später verfolge ich eine Debatte, die sich darum dreht, warum in einer Liste mit den fünf besten Geschichts-Podcasts kein Podcast einer Frau vorkommt. Der Autor der Bestenliste erlebt einen Shitstorm auf Twitter. Dabei hat er nur seine Lieblingspodcasts vorgestellt.
  • Ein paar Einträge weiter heißt es nachdenklich, der Mensch sei ein schlimmes Virus, das die Erde befallen habe. Ohne Menschen hätte die Natur ihre Ruhe. Alles wäre sauber, gesund und friedlich. Und vor allem klimaneutral.

Natur ist in erster Linie Mord und Totschlag

Friedlich und romantisch geht es in der Natur allerdings nicht zu. Im Gegenteil. Gerade dort wird vom kleinsten bis zum größten Lebewesen seit Millionen von Jahren mit den brutalsten Mitteln ums Überleben gekämpft. Von der Mikrobe bis zum Großwild: Natur ist in erster Linie Mord und Totschlag. Auch das Corona-Virus gehört übrigens zur Natur.

Es war mal die Aufgabe der Jugend, zu neuen Ufern aufzubrechen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Laute, gefährliche Musik zu machen, unkorrekt zu sein, unverantwortlich zu sein, alle Regeln zu brechen, Quatsch zu machen. Man wollte in erster Linie über den Durst trinken und die Innenstädte unsicher machen.

Heute steht man auf korrekt essen, sitzen, denken, sprechen und lieben. Viele junge Leute berufen sich dabei auf ihre Verletzlichkeit, betreiben im Namen des Kampfes gegen Ungerechtigkeiten ihre eigene moralische Agenda. Dabei werden alle Menschen in kleine Schubladen einsortiert. Das nennt man jetzt Identitätspolitik: Junge Frauen kämpfen für Frauen. Aber nur für solche mit den richtigen Ansichten und Kleidungsstücken. Heidi Klum muss leider draußen bleiben. Die unzähligen Bikini-Mädchen auf Instagram gehören natürlich auch nicht dazu.

Jugend als moralische Aufsichtsbehörde

Denn alles muss heute moralisch einwandfrei, gesund, nachhaltig und fair sein. Die Jugend ist zu meiner moralischen Aufsichtsbehörde geworden. Ständig wird überprüft, ob ich alles richtig mache. Ihr könnt damit aufhören. Ich bekenne mich schuldig, schuldig im Sinne der Boomer-Anklage und gebe zu: Ich mache wahrscheinlich selten etwas richtig. Ich mache es so, wie ich es empfinde. Eigentlich immer noch genau so, wie ich es in meiner eigenen Jugend gemacht habe.