Auf der einen Seite steht Horst Köhler, der Bundespräsident. Er muss eine schwere Entscheidung treffen, eine moralisch schwer wiegende Entscheidung. Es geht um die Rechte und die Reue eines Mörders. Es geht um das Leid der Angehörigen der Ermordeten. Es geht um die Geschichte der Roten Armee Fraktion. Und es geht auch um die Geschichte dieser Republik. So oder so. Einerlei, wie Köhler diese Woche befindet: Recht machen, das ist schon jetzt klar, wird er es nicht allen machen können.
Begnadigt er Christian Klar, wird er Prügel einstecken, begnadigt er ihn nicht, ebenfalls. Dabei wäre es für den Präsidenten von vorneherein einfacher, Klar nicht zu begnadigen: Das gesunde Volksempfinden hätte er damit sicher auf seiner Seite. Falls es irgendwann noch irgendwelche Enthüllungen zu Klars Verwicklungen oder Taten geben würde, müsste Köhler sich keine Vorwürfe machen: Er wäre schon vorab auf Nummer sicher gegangen
Köhler macht dem Amt alle Ehre
Aber so leicht macht Köhler es sich nicht. Nein, hier ist sich der stets sperrige Präsident treu: Seit Wochen recherchiert er den Fall, informiert sich, spricht mit Experten und Angehörigen. Am vergangenen Freitag hat er Klar sogar persönlich getroffen. Gnade ist nun mal keine juristische Kategorie. Sie beruht auf der Überzeugung, dass es richtig ist, sie zu gewähren, auf einem Gefühl. Mit Bedacht und Ruhe unternimmt Köhler alles, um sich ein Bild zu machen, um zu einem Gespür für den Menschen Klar und die Situation zu kommen. In seinem Bemühen um eine faire Handhabung des Gnadengesuchs verhält sich der Präsident dabei glaubwürdig und vorbildlich. Dem höchsten Amt in diesem Staate macht Köhler so alle Ehre. Das ist die eine Seite.
"Nimm' Dich in Acht, Horst!"
Auf der anderen Seite steht, welch' Ironie, Köhlers eigenes politisches Lager: die Union, die beiden Christen-Parteien CDU und CSU, gestützt vom Liberalen-Chef Guido Westerwelle. Dabei ist es vielleicht gerade noch legitim, wenn einzelne Politiker, wie Unions-Fraktionschef Volker Kauder oder auch FDP-Chef Westerwelle, sich gegen eine Begnadigung Klars aussprechen. Entscheidungen des Präsidenten stehen nicht über der politischen Diskussion. Es ist zulässig, kontrovers zu streiten, Für und Wider abzuwägen.
Schwieriger wird es jedoch, wenn einzelne Politiker versuchen, dem Präsidenten indirekt zu drohen, um seine Entscheidung so zu beeinflussen. Kauder ist auch hierfür das Beispiel, wenn er sich brüstet, er wüsste Volkes Meinung in dieser Angelegenheit hinter sich. "Bundespräsident", heißt das übersetzt. "Nimm' Dich in Acht. Horst, Du schickst Dich an, gegen jenes Volk zu entscheiden, das Du repräsentieren sollst!" Allein die indirekte Drohung beschädigt das Amt. Deshalb war das Machtwort von Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel am Sonntag überfällig.
Respektlos und ignorant
Um das Kanzlerinnenwort herzlich wenig scheren wird sich die Riege der CSU-Kritiker. Ist Kauders Verhalten noch grenzwertig, ist das, was CSU-Figuren wie Dr. Markus Söder oder Wer-ist-eigentlich-Dr.-Andreas-Scheuer-MdB an den Tag legen, schlicht jenseits von Gut und Böse. Sie drohen Köhler offen damit, ihn nicht wiederzuwählen, sollte er sich für eine Begnadigung Klars aussprechen. Damit machen sie deutlich, dass sie weder vor dem Amt noch vor der Person Köhlers ein Mindestmaß an Respekt aufbringen.
Man kann zu dem Institut des Gnadenrechts stehen, wie man will. Aber derzeit gibt es dieses nun mal, und der Präsident ist in seiner Entscheidung frei. Zwar muss die Justizministerin die Entscheidung Köhlers formal prüfen und ausfertigen. Aber inhaltlich kann sie dem Staatsoberhaupt fast überhaupt nicht am Zeug flicken, es sei denn, seine Entscheidung beruhe nachweislich auf reiner Willkür oder wäre klar menschrechtswidrig. Scheuers Forderung, Zypries solle einem positiven Gnadenbescheid Köhlers die Unterschrift verweigern, zeugt deshalb nicht nur von fehlendem Respekt und blankem Populismus, sondern zudem von frappierender Unkenntnis.
Von Köhler heißt es, er sei keiner, der sich von Drohgebärden sonderlich beeinflussen lasse: Das wäre ihm zu wünschen. Er ist es, der dem Amt derzeit die Würde gibt, an der seine eigenen Leute kratzen. Während Köhler sich also bemüht, im Umgang mit Klar fair zu sein, spielt die CSU mit einer Blutgrätsche nach der anderen brutal Foul. Reue hat sie bislang keine gezeigt.
Gnade sollte sie dafür keine erwarten dürfen, schon gar nicht vom Bundespräsidenten.