Die deutschen und internationalen Medien kommentieren die schweren Krawalle in Stuttgart, oft auch im Zusammenhang mit der Ankündigung von Bundesinnenminister Horst Seehofer, Anzeige gegen die die Tageszeitung "Taz" wegen einer Satire über die Polizei zu erstatten.
"Frankfurter Allgemeine": "(Die Polizei) braucht keinen besonderen Artenschutz, sondern den selbstverständlichen Rückhalt jeder demokratischen Institution und jedes Demokraten. Dazu muss man die Dinge beim Namen nennen: Genauso wie die Anti-Gipfel-Demonstranten von Hamburg und Frankfurt zum Teil ein mörderisches Potential hatten, so sind die Ausschreitungen von Stuttgart wohl mehr als die 'Partywut der Eventszene'. Es ist traurig, dass offenbar noch betont werden muss, dass die Gewalt rückhaltlos aufgeklärt werden solle. Plötzlich ist sie zumindest verbal vorhanden, jene 'Härte', von der im Umgang mit Rechtsbrechern jahrelang nichts zu sehen war. Zu schnell auch der Schluss, der Gewaltausbruch sei nicht politisch motiviert. Was ist offene, gezielte Gewalt gegen den Staat denn sonst?"
"Frankfurter Rundschau": "Für diesen Satz hätte Horst Seehofer glatt Applaus verdient: 'Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen (...). Das dürfen wir nicht weiter hinnehmen.' Der Innenminister hätte das zum Beispiel sagen können, als auf die Ausgrenzungsrhetorik, die auch er lange gepflegt hat, Mordtaten gegen Eingewanderte oder deren Unterstützer folgten. Aber er hat es jetzt gesagt - und zugleich gedroht, wegen einer Kolumne in der 'Taz' Anzeige zu erstatten. In dem satirisch gemeinten Text wird gefordert, Polizistinnen und Polizisten auf Müllhalden arbeiten zu lassen. (...) Aber dass ein Minister dagegen mit dem Strafrecht vorgehen will, ist ein dreister Angriff auf die Pressefreiheit."
"Straubinger Tagblatt": "Die Polizei schützt das friedliche Miteinander in Deutschland, setzt das Gewaltmonopol des Staates und die demokratisch beschlossenen Gesetze durch. Der Staat hat die Aufgabe als Dienstherr, auch die Beschützer der Ordnung besser zu schützen. Kommt bei den Beamten das Gefühl an, sie würden im Stich gelassen, wäre das fatal. Resignieren die Sicherheitskräfte, stecken sie auf, leidet die Sicherheit aller. Sie schützen nämlich auch die, die Polizisten als Feind oder Gegner begreifen. Wer hält aber noch die Knochen hin, wenn Leute von der Leine gehen und das asoziale Durchdrehen nicht konsequent bestraft wird?"
"Der Tagesspiegel": "Eines bleibt: Kaum einer anderen Institution wird so vertraut wie der Polizei. Zugleich wächst eine Generation heran, die die Polizei kritischer sieht. Dagegen hilft keine Verbalkeule, damit ist umzugehen: mit Transparenz, mit Erklären. Die Polizei übt die legitime staatliche Gewalt aus, sie darf Zwang anwenden und auch zuschlagen. Wer die Existenz der Polizei grundsätzlich infrage stellt, stellt das Gewaltmonopol des Staates, am Ende den Staat und dessen Aufgaben in Frage: Gefahren abwehren, Straftaten verfolgen, Grundrechte schützen. Die Bürgerinnen und Bürger haben als Bollwerk gegen Willkür der Staatsgewalt das Grundgesetz. Dies mit mehr Leben zu füllen, ist die eigentliche Herausforderung für alle Seiten."
"Der Standard" aus Wien: "Die deutsche Regierung reagiert mit Bestürzung, Politiker von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier abwärts mit Aufrufen, die Härte des Rechtsstaates nun auszunutzen. Das ist eine verständliche Reaktion, eine hinreichende ist es aber nicht. Die Politik hat in den letzten Wochen und Monaten viel richtig gemacht und harte Maßnahmen ergriffen. Sie hat damit trotzdem Potenzial für Frust geschaffen. Wie viel, das wird in nächster Zeit noch sichtbar werden, spätestens dann, wenn sich die Folgen endgültig in der Realwirtschaft niederschlagen."

"Neue Züricher Zeitung" aus der Schweiz: "Seehofer sollte nun mit den Ermittlungen beginnen. Dazu gehört es zu prüfen, was hinter den jüngsten Ausschreitungen in Stuttgart steckt. Verliert die Polizei tatsächlich an Respekt? Warum gerade bei Jugendlichen? Was hat die Nutzung sozialer Netzwerke damit zu tun? Was haben die Debatte um Rassismus und die 'Black Lives Matter'-Bewegung damit zu tun? Eine Anzeige beantwortet all diese Fragen nicht, wohl aber lädt sie die Schuld an der Randale bei einer Kolumnistin ab. Damit würde Seehofer nicht nur von Versäumnissen ablenken, er würde auch die Wirkung des Textes auf die randalierenden Jugendlichen in Stuttgart überschätzen."