Ukraine-Krieg ohne Auswirkung Ein Gewissen kann sich wandeln: So viele Deutsche zogen 2022 ihre Kriegsdienstverweigerung zurück

487 Deutsche haben im vergangenen Jahr ihre mit dem gewissen begründete Kriegsdienstverweigerung zurückgezogen
Dienst an der Waffe nicht mehr ausgeschlossen – 487 Deutsche haben im vergangenen Jahr ihre mit dem gewissen begründete Kriegsdienstverweigerung zurückgezogen
© Arno Burgi / DPA
Mehr als 400 Menschen haben seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine ihre Kriegsdienstverweigerung widerrufen – deutlich mehr als im gesamten Vorjahr. Allerdings ist die Zahl im Langfrist-Vergleich auch kein Ausreißer.

"Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." Das regelt klipp und klar Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes. Und trotz der seit 2011 ausgesetzten Wehrpflicht machen weiterhin Jahr für Jahr Deutsche von ihrem Recht auf Kriegsdienstverweigerung Gebrauch. 2022 waren es insgesamt 951, ein Anstieg um mehr als 700 gegenüber dem Vorjahr. Unter den im vergangenen Jahr anerkannten Kriegsdienstverweigernden sind auch Hunderte Angehörige der Bundeswehr (der stern berichtete).

Als Grund für die steigenden Zahl wird Russlands Krieg in der Ukraine angenommen – möglicherweise bewerten viele die Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung neu und berufen sich auf ihr Gewissen, daran nicht teilnehmen zu können.

Auf Hunderte Anerkennungen auf Kriegsdienstverweigerung verzichtet

Aber wie sieht es umgekehrt aus? Gibt es Kriegsdienstverweigernde, deren Gewissen sich gewandelt hat und die sich mit Blick auf den Krieg in Europa einen Dienst an der Waffe inzwischen vorstellen können?

Sie können beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) ihren "freiwilligen Verzicht auf die Anerkennung als Kriegsdienstverweigernder" erklären. Der Dienst an der Waffe bei der Bundeswehr ist für sie damit – zumindest theoretisch – wieder möglich.

Im vergangenen Jahr haben insgesamt 487 Menschen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, davon 462 seit dem Überfall Russlands auf sein Nachbarland Ende Februar 2022 – mehr als in den beiden Jahren davor, aber auch weniger als in den Jahren 2014 bis 2019. Das geht aus Zahlen des BAFzA hervor, die dem stern vorliegen.

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Im Mittel haben zwischen 2014 und 2022 jährlich 532 Bürger auf ihre Anerkennung als Kriegsdienstverweigernde verzichtet – der Krieg gegen die Ukraine hat offensichtlich keine Auswirkung auf die Zahl. Feststellen ließe sich das aber eh nicht. "Die Darlegung von Gründen ist in der Verzichtserklärung nicht notwendig", erklärt BAFzA-Sprecher Sinan Bürryü dem stern.

Ohnehin ist die Zahl derer, die ihre Anerkennung als Kriegsdienstverweigernde widerrufen, verschwindend gering. Seit Einführung der Wehrpflicht in der Bundesrepublik 1957 haben Millionen Menschen aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert und stattdessen Zivildienst geleistet.

Wer dies auch im Jahr 2023 trotz ausgesetzter Wehrpflicht machen möchte, muss seinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung beim Karrierecenter der Bundeswehr (früher Kreiswehrersatzamt) stellen. Er wird von dort an das BAFzA weitergeleitet. Der Antrag muss einen vollständigen tabellarischen Lebenslauf und eine persönliche ausführliche Begründung für die Gewissensentscheidung enthalten. Bei Zweifeln kann es auch eine mündliche Anhörung geben.

Der freiwillige Verzicht auf die Anerkennung als Kriegsdienstverweigernder ist weniger aufwendig. "Die Verzichtserklärung kann postalisch oder als Maildokument, sofern die persönliche Unterschrift eingefügt ist, eingereicht werden", erläutert BAFzA-Sprecher Bürryü. Sie muss außerdem persönliche Angaben wie Adresse, Geburtsort und -datum sowie ggf. die Personenkennziffer aus dem Zivildienst enthalten. Und: "Aus dem Antrag muss deutlich hervorgehen, dass die Person auf die Anerkennung als Kriegsdienstverweigernder verzichtet, da keine Gewissensgründe für den Kriegsdienst mit der Waffe vorliegen."  

Quellen: Auskunft BAFzA, BAFzA zur KriegsdienstverweigerungGrundgesetz