Vom Krieg überrumpelt Immer mehr Kriegsdienstverweigerer in Deutschland – Zahl hat sich in einem Jahr verfünffacht

Soldaten der Bundeswehr bei einer Vorführung
Den Rücken gekehrt: Immer mehr Soldaten der Bundeswehr wollen den Kriegsdienst verweigern
© Fabian Sommer / DPA
Sie können so einer Einziehung im Verteidigungsfall entgehen: In vergangenen Jahr haben deutlich mehr Menschen einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt als noch 2021.

Der Krieg in Europa führt offenbar zu einem Umdenken bei jenen, die bei einer Ausweitung gen Westen buchstäblich an vorderster Front stehen würden. So hat sich die Zahl der Kriegsdienstverweigerer seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine 2022 gegenüber dem Vorjahr verfünffacht. Das berichtet das "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (RND).

Wie ein Sprecher des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben dem RND mitteilte, seien im Jahr 2022 insgesamt 951 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung eingegangen. Viele begründeten ihre Anträge damit, dass sie mit einer kriegerischen Auseinandersetzung nicht gerechnet hätten. Zum Vergleich: 2021 hatten nach früheren Angaben 209 Menschen von diesem Grundrecht Gebrauch gemacht.

Bis Oktober 810 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung

Dass die Zahl so drastisch steigen würde, war bereits im Oktober absehbar. Damals waren es schon 810 Kriegsdienstverweigernde. Unter den aktiven gut 180.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr verzeichnete die Regierung damals zwar einen Rückgang der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung: von 176 auf 136.

Dagegen stieg der Anteil unter den vollständig Ungedienten deutlich: Aus 23 Anträgen im Jahr 2021 wurden 484 in den ersten acht Monaten im Jahr 2022. Selbiges galt für die Reservistinnen und Reservisten. Insgesamt zehn von ihnen stellten 2021 einen entsprechenden Antrag – aus Gewissensgründen. Von Januar bis August 2022 waren es schon 190. In Deutschland dienen insgesamt rund 29.000 Männer und Frauen in der Reserve.

Die Kriegsdienstverweigerung ist in Artikel 4 des Grundgesetzes festgeschrieben und gilt damit als Grundrecht. Darin heißt es: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden."

Der Artikel hat seit dem Aussetzen der Wehrpflicht 2011 stark an praktischer Bedeutung verloren. Zuvor lag die Zahl der jährlichen Kriegsdienstverweigernden mitunter bei deutlich mehr als 100.000. Fast die Hälfte der Wehrpflichtigen verweigerte den Kriegsdienst an der Waffe aus Gewissensgründen.

Auch Soldatinnen und Soldaten können Kriegsdienst verweigern

Auch nach dem faktischen Ende der Wehrpflicht ist es für jeden jederzeit möglich, den Kriegsdienst an der Waffe zu verweigern, das gilt auch für aktive Soldatinnen und Soldaten. Hierzu müssen normalerweise ein Lebenslauf und eine ausführliche Begründung der Gewissensentscheidung schriftlich beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben eingereicht werden. Die Behörde entscheidet dann über die Anerkennung. Gegen die Entscheidung kann Widerspruch und gegebenenfalls Klage eingereicht werden. Anerkannte Kriegsdienstverweigernde können ihre Verweigerung auch zurücknehmen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wer als Kriegsdienstverweigerer anerkannt ist, darf auch im Spannungs- und Verteidigungsfall nicht bei der Bundeswehr zum Dienst an der Waffe, wohl aber zu Zivilschutzaufgaben herangezogen werden.