Bürgerschaftswahl in Bremen Puschy rockt

  • von Silke Müller
Die FDP der Hansestadt war halb tot. Dann kam Lencke Steiner. Bald ist Bürgerschaftswahl, und die 29-Jährige hat immerhin eine Chance. Was sucht die Unternehmerin in der Politik?

Dunkelgelb nennt man die Ampelphase wohl. Lencke Steiner seufzt, checkt die Lage, drückt das Gaspedal durch. Das weiße Sportcoupé schießt über die Kreuzung, nimmt die Ausfahrt als Einfahrt und steht um 17.32 Uhr vor dem Einkaufszentrum Weserpark. Die Spitzenkandidatin der Bremer FDP stürmt durch das Portal, wirft im Laufen den cremefarbenen Mantel mit Pelzkragen ab, stellt die Prada-Handtasche achtlos neben eine Säule und hüpft von vorn auf die Bühne. Freundliches Hallo, kurze Entschuldigung, vom Endspurt gerötete Wangen. Aufhalten, signalisiert Steiner, aufhalten lässt sie sich nicht. Allein diese Haltung ist im Wahlkampf Gold wert.

Auf dem Podium, im Gang zwischen C&A, Dessous-Shop und Geschenkartikel-Laden sitzen bereits die Vertreter der anderen Parteien. Am 10. Mai ist Bürgerschaftswahl, die Stadt wird seit Ewigkeiten sozialdemokratisch regiert, niemand rechnet mit Überraschungen. Routiniert spulen die Kandidaten ihre Phrasen ab, keine neue Idee, kein Fünkchen Enthusiasmus. Eine wie Lencke Steiner, 29, knallt da hinein wie ein Tischfeuerwerk. "Wir müssen Wahlkampf 4.0 machen! Mit den Menschen reden, sie begeistern, für Politik, für die Stadt, für einen Aufbruch!", sagt sie, nachdem sie das Mikrofon CDU und SPD entrungen hat.

Das nächste Postergirl?

Was treibt die erfolgreiche Bremer Geschäftsfrau in die Politik? Gremien und Ausschüsse, die Mühen der Ebene: Die FDP wird bestenfalls eine Minifraktion aufstellen und nicht viel ausrichten können. "Niemand vertritt die Interessen der Unternehmen und der Generation Y. Und mit Stammtischpolitik kommen wir nicht weiter. Ich bin bereit, eine aktive Rolle ein zunehmen - und das auch in einer Spitzenfunktion." Sagt Steiner und wischt alle Zweifel weg, dass sie nur das nächste Postergirl einer marginalisierten Spaßpartei sein könnte.

Ein Parteibuch hat sie ohnehin nicht. Dass sie trotzdem Spitzenkandidatin ist, zeigt nicht nur die Not der FDP, sondern auch den immensen Ehrgeiz der Hanseatin, die seit fünf Jahren das familieneigene Verpackungsunternehmen leitet, Bundesvorsitzende der "Jungen Unternehmer" ist und als Investorin in der Vox-Fernsehshow "Die Höhle des Löwen" Existenzgründer coacht. Knallhart kanzelt sie da Kandidaten ab, deren Ideen für Puschy Investment, ihre Beteiligungsfirma für Start-ups, zu halb gar sind. Lieblingsspruch: "Ich bin da raus."

Politik als Reality-Check

"Puschy" - so nannte sie ihr Bruder, als sie klein war, nach der kampferprobten Karl-May-Indianerin Kolma Puschi. Und irgendwie passt das: Hinter Pelz, Prada und dem mädchenhaften Lächeln steckt eine bislang ungebremst erfolgreiche, junge Frau, bei deren Auftauchen die lokalen FDP-Platzhirsche wie junge Rehe in die zweite Reihe springen. Nun steht sie also morgens um fünf in einer Großbäckerei in Bremerhaven und fragt: "Wie sieht's denn aus mit dem Nachwuchs?" - "Damit sind wir durch", scherzt Gerd Engelbrecht, der das Familienunternehmen in vierter Generation führt. Dann berichtet er von seiner Not, qualifizierte Auszubildende zu finden, und wünscht sich mehr Realitätssinn und Augenmaß vom Gesetzgeber. Eine Steilvorlage für Steiner, deren Kernthemen Bildung und der Kampf gegen Überregulierung sind.

Neuland hingegen in der Kita, dem nächsten Ziel auf ihrer Wahlkampftour: "Wie? Um 16.30 Uhr ist hier Schluss? Wie soll denn das funktionieren, wenn man arbeitet?" Steiner hat im Sommer geheiratet, natürlich einen Unternehmer. Noch ist sie kinderlos, doch das Thema treibt sie um: "Kinder sind kein Projektgeschäft. Es kommt immer eine neue Herausforderung, und wenn es danach ginge, dürfte ich nie Kinder kriegen. Aber ich möchte Role model sein und zeigen, was wir Frauen alles schaffen können." Unverblümt fragt Steiner auch nach dem Gehalt der Erzieherin. Und fällt fast vom Stuhl. "Zwei-zwei? Für diesen wertvollen Job, den Sie hier leisten?" Politik als Reality-Check.

Dass Lencke Steiner die sieche Bremer FDP wieder über die Fünf-Prozent-Hürde hievt, daran zweifelt der Bremer Altliberale Horst-Jürgen Lahmann nicht. Er hat die Spitzenkandidatur den Unternehmern der Stadt wie sauer Bier angeboten. Niemand griff zu - außer Steiner. Sie hat Lust auf Machen-machen-machen. Genauer: "selber machen". Dass die Politik ein anderes Tempo fährt als sie, schreckt sie nicht. Jetzt ist Wahlkampf. Also sagt Steiner: "Wir rocken das Ding."

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