Merkel und die Konservativen Im Gasthaus zum traurigen Ochsen

Wolfgang Bosbach, Fraktionsvize der Union, ist einer der wenigen, die offen für mehr konservative Politik eintreten - und damit Kanzlerin Merkel kritisieren. Im stern.de-Interview spricht Bosbach über "CDU pur", über Deutsch im Grundgesetz und das Grummeln der Basis.

Herr Bosbach, Sie klagen, die CDU tue nicht genug für ihre konservativen Anhänger. Warum diese Debatte? Die Kanzlerin steht doch in Umfragen bestens da.

Das hat sie auch verdient. Aber ich möchte, dass die CDU genauso gut da steht! Wer behauptet, er habe den Spruch 'Bitte weniger Koalition und mehr Union!' an der Basis noch nie gehört, kann in der Partei nicht viel unterwegs sein. Dieses Grummeln sollten wir nicht ignorieren.

Hat Angela Merkel die Befindlichkeit der Stammwähler nicht ausreichend im Blick?

Wir sagen immer 'Eine gute Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit!' Das muss dann aber auch für die eigene Partei gelten, ohne dass jeder kritische Befund sofort als Attacke auf die Vorsitzende gewertet wird. Mir geht es um die Partei insgesamt. Um alle Landesverbände, alle Gliederungen. Als Kanzlerin muss Angela Merkel kompromissbereit sein. Aber Koalition heißt doch nicht Fusion. Ich möchte, dass Unionspositionen klar erkennbar und von anderen unterscheidbar sind. Und dass wir alle Strömungen in der Partei mitnehmen. Wenn sich ein Teil der Stammwähler abwendet, sollten wir das nicht ignorieren.

Was sollte die CDU tun, um ihre konservativen Wähler wieder zu erreichen?

Beispiel Opel: Die CDU sollte deutlich machen, dass wir dem Unternehmen beim Vorliegen eines tragfähigen Sanierungskonzeptes gerne helfen, aber ohne dabei ordnungspolitische Grundsätze über Bord zu werfen. Beispiel 'Deutsch ins Grundgesetz': Sicherlich für die Zukunft des Landes kein Thema überragender Bedeutung, aber eines, das viele Menschen bewegt und interessiert. Eine Partei will auch emotional angesprochen werden.

CDU und CSU könnten sich die Arbeit doch teilen. Merkel mit der CDU für den Kopf und die liberalen Städter - Horst Seehofer mit der CSU für den Bauch und die konservative Landbevölkerung.

Puh. Und das soll funktionieren? Da bin ich oberskeptisch. Die CDU will doch auch im ländlichen Milieu punkten und die CSU in den bayerischen Metropolen. Nein. Beide Parteien müssen das gesamte Spektrum abdecken. Die Konservativen der CSU alleine zu überlassen wäre für die CDU sehr riskant. Aber hier haben wir sicherlich Handlungsbedarf, denn auch bei mir zu Hause gibt es CDUler, die uns deshalb wählen, weil es die CSU gibt.

Die Parteispitze möchte aber darüber keine öffentliche Diskussion. Fraktionschef Volker Kauder ist bestimmt nicht glücklich, wenn Sie dauernd herumzumäkeln.

Ich fürchte, da haben Sie recht. Geschlossenheit ist eine prima Sache, wenn sie nicht mit Tabuisierung von Problemen verwechselt wird. Die erste Frage nach einer Rede lautet meistens: 'Herr Bosbach, wann machen wir denn wieder mal CDU-Politik pur?' Das ist dann kein CDU-Event mit Orchester und Multi-Media-Show sondern eher eine Veranstaltung der Marke 'Kleiner Saal im Gasthaus zum traurigen Ochsen'. Aber die nehme ich total ernst. Denn dahin kommen diejenigen, die am Stand stehen, Flugblätter verteilen und Kleister anrühren. Denen müssen wir sehr gut zuhören.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Gibt es in Ihrer Partei eine Angst vor dieser Diskussion?

Jeder, der sich kritisch äußert, muss mit dem Vorwurf rechnen: Entscheidend ist die Geschlossenheit und wenn schon Kritik, dann nur hinter verschlossenen Türen. Gerade so, als wenn dort irgendetwas geheim bliebe. Egal wo und wann, jede kritische Anmerkung, jeder unorthodoxe Gedanke ist kurze Zeit später bei den Agenturen gelandet. Jeder weiß doch genau: Soll etwas publik werden, darf man nicht 'Pressemitteilung' drüber schreiben, sondern 'Streng geheim!'

Schweigen aus Angst?

Gute Frage. Keine Ahnung! Vielleicht, weil das einfacher zu kommunizieren und spektakulärer ist, als eine politisch-inhaltliche Debatte. Angela Merkel muss sich doch nun wirklich keine Sorgen machen. Sie ist in der CDU, nein, in der Union insgesamt, unumstritten die Nummer 1, hat tolle Umfragewerte und genießt international hohes Ansehen. Sie ist im kommenden Wahlkampf unser bester Trumpf. Aber ich fürchte, das alleine wird für 40 Prozent nicht reichen. Deshalb kämpfe ich dafür, dass die Partei ähnlich gute Werte erreicht wie Angela Merkel. Konstruktive Kritik sollte man daher nicht als unbotmäßig abtun, sondern aufgreifen.

Ist Angela Merkel konservativ genug?

Ich glaube nicht, dass sie sich selber als klassisch-konservativ bezeichnen würde. Aber daraus kann ich ihr nun wirklich keinen Vorwurf machen, denn als rheinische Frohnatur bin ich selber auch nicht die Idealbesetzung für diesen politischen Phänotyp. Da fallen mir eher Namen wie Roland Koch oder Jörg Schönbohm ein.

Interview: Franziska Reich