Diese Szene aus dem Kabinett wird in Erinnerung bleiben: Mit sichtbar schlechter Laune ruckelte Annalena Baerbock ihren Ledersessel zurecht, setzte sich grußlos an den Tisch, schenkte dem Kanzler kein freundliches Lächeln – während Olaf Scholz zwei Plätze weiter in die Kameras grinste. Es war am Mittwoch vergangener Woche offenkundig der Moment, nachdem Baerbock vom Machtwort des Kanzlers erfahren hatte. Der hatte angewiesen, den Asylkompromiss der Europäischen Union nicht mehr aufzuhalten – und damit seine grüne Außenministerin ausgebremst.
Baerbocks öffentliche Wut hatte etwas erfreulich Ehrliches, verglichen zum Beispiel mit der aufgesetzten Zuversicht von Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner in ihren wiederkehrenden Auftritten als die drei Fröhlichmänner von der Gute-Laune-Tankstelle in Meseberg. Ehrlich auch, weil die Szene illustriert, wie es um das Verhältnis von Kanzler und Ministerin generell bestellt ist: Das sieht nicht gut aus.
Scholz und Baerbock konkurrieren auf wichtigen Feldern der Außenpolitik. Das begann bei den Waffenlieferungen für die Ukraine, setzte sich fort im Umgang mit China und findet nun in der Asylpolitik ein weiteres Kapitel. Die mühsam zusammengestrickte nationale Sicherheitsstrategie bildete keinen wirklichen Konsens, sondern nur das dünne Deckmäntelchen für den fortdauernden Konflikt. Und genau genommen ist es noch schlimmer: Was wie Arbeitsteilung aussieht, erweist sich mitunter als offenes Gegeneinander.
Koch vs. Kellnerin
Beispiel eins: Baerbock ist seit Beginn des russischen Angriffskrieges schon viermal in die Ukraine gereist. Scholz einmal, und das sehr spät. Mit jedem ihrer Besuche nährt die Außenministerin auch den Eindruck mangelnder Empathie des Kanzlers. In Stephan Lambys Film "Ernstfall" antwortet Baerbock auf die Frage, was sie in ihrer Regierungszeit bereut habe: "Vielleicht ist es der Punkt, dass wir sehr frühzeitig mit mehreren Leuten in die Ukraine hätten fahren sollen, als Teil dieser Regierung." Auf die Nachfrage, ob sie damit auch den Bundeskanzler meine, bat Baerbock, auf Nachfragen zu verzichten.
Beispiel zwei: Scholz ist stolz darauf, dass er mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping im Herbst 2022 mit Blick auf Russland eine gemeinsame Erklärung gegen den Einsatz von Atomwaffen hinbekam. Er versteht das auch als Basis für weitere Gespräche mit Xi. Und man kann sich vorstellen, dass er wenig Begeisterung dafür aufbringt, wenn seine Außenministerin in einem amerikanischen Fernsehsender den chinesischen Präsidenten mal eben einen Diktator nennt, wie sie es jüngst getan hat.
Während der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat Scholz nun den Spieß umgedreht. Kanzler und Ministerin reisten, selbstverständlich getrennt, nach New York. Der Kanzler hielt eine Rede beim Empfang aus Anlass von 50 Jahren deutscher Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, für Baerbock blieb nur die kurze Begrüßung. Scholz hielt die Rede vor der Generalversammlung, Baerbock durfte im ansonsten weitgehend leeren Saal zuhören und applaudieren. Und auch die Rede in der Sondersitzung des Sicherheitsrates zum Ukrainekrieg übernahm Scholz.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Vor 20 Jahren konnte Baerbocks Vorgänger Joschka Fischer das wichtigste Gremium der UN noch für Auftritte im Streit um den Umgang mit dem Irak nutzen. In diesem Jahr hat der Kanzler der grünen Ministerin in alter SPD-Manier gezeigt, wer Koch und wer Kellnerin ist. Selbstverständlich sind Scholz und Baerbock aus New York auch getrennt abgereist.
Nico Fried freut sich, von Ihnen zu hören. Schicken Sie ihm eine E-Mail an nico.fried@stern.de