Fried – Blick aus Berlin Nico Fried über den Asylkompromiss von 1993 – und was man heute daraus lernen kann

Nico Fried darüber was wir aus dem Asylkompromiss 1993 für heute lernen können
Nico Fried darüber was wir aus dem Asylkompromiss 1993 für heute lernen können
©  Illustration: Sebastian König/Stern; Foto: Henning Kretschmer/Stern
Einen Asylkompromiss wie vor 30 Jahren wünschen sich manche. Doch taugt 1993 zum Vorbild? Nur, wenn man die Fehler von damals vermeidet, meint stern-Kolumnist Nico Fried.

So wie 1993 – das hört man jetzt oft in der Diskussion um die Flüchtlingspolitik. So wie damals sollte man es wieder machen, findet Carsten Linnemann, der CDU-Generalsekretär; findet Christian Lindner, der FDP-Vorsitzende. Und Friedrich Merz ist auch dafür, am liebsten ohne die Grünen. So war es ja damals auch.

Man kann 1993 als Vorbild für eine parteiübergreifende Einigung nehmen – aber nur, wenn man auch die Fehler vermeidet, die damit verbunden waren. Denn der Asylkompromiss damals war ein nationaler Alleingang, ein Abschied aus europäischer Solidarität, der sich später rächen sollte.

Solidarität? Fehlanzeige

Es geschah im elften Amtsjahr von Helmut Kohl, als die Koalition aus Union und FDP mit der oppositionellen SPD am 26. Mai 1993 im Bundestag eine Änderung des Grundgesetzes verabschiedete. 1992 war die Zahl der Asylbewerber auf fast 440.000 gestiegen, viele kamen aus dem zerfallenden Jugoslawien. Die Kommunen waren überlastet. Im April zogen die Republikaner in Baden-Württemberg und die DVU in Bremen jeweils als drittstärkste Kraft in die Landesparlamente ein. Die Parallelen zu heute sind unübersehbar.

Koalition und Opposition schränkten Artikel 16 ("Politisch Verfolgte genießen Asylrecht") stark ein. Es wurde der sichere Herkunftsstaat erfunden, in dem man Verfolgung ausschloss, solange der Asylbewerber nicht das Gegenteil beweisen konnte. Dazu kam die Drittstaatenregelung, wonach das Asylrecht schon so gut wie verwirkt hatte, wer aus einem sicheren Nachbarland einreiste. Wer heute an den damals etablierten Artikel 16a will, muss wissen: Viel ist sowieso nicht mehr übrig.

Die Organisation Pro Asyl kritisierte seinerzeit, dass "um Deutschland herum eine neue Mauer gebaut" werde. Die Grünen erklärten, die neue Regelung sei so effektiv wie ein Schießbefehl, wenn auch eleganter. Wolfgang Schäuble wurde damals gefragt, ob nur noch betuchte Flüchtlinge mit Flugticket nach Frankfurt und einem Koffer voller Beweise in Deutschland Asyl begehren könnten. Der damalige Unions-Fraktionschef antwortete: "Man kann es so darstellen." Aber seine Sorge sei nicht, "dass wir demnächst keine Asylbewerber mehr haben". Da sollte Schäuble recht behalten.

Zuerst jedoch sanken die Zahlen deutlich – die der Flüchtlinge, auch die rechtsextremer Parteien. Das neue deutsche Asylrecht bewirkte zusammen mit dem europäischen Abkommen von Dublin, dass Deutschland fein raus war, weil es sein Flüchtlingsproblem auf andere Staaten abschob. Solidarität? Verteilung in der EU? Nein danke. Das ging gut, bis Länder wie Italien und Griechenland dem Druck immer neuer Flüchtlingswellen nicht mehr standhalten konnten – und nicht mehr wollten.

Lehren aus der Vergangenheit

Zu lange hatte man so getan, als gebe es keine Flüchtlinge mehr, nur weil sie nicht mehr nach Deutschland kamen. Jetzt kamen sie wieder. Es war Angela Merkel, die ehrlich genug war, die deutsche Lebenslüge zuzugeben. Es gebe Schwierigkeiten, den Zustrom zu bewältigen, räumte die Kanzlerin im September 2016 ein, "auch, weil wir in den vergangenen Jahren weiß Gott nicht alles richtig gemacht haben". Auch sie habe sich "lange Zeit gerne auf das Dublin-Verfahren verlassen, das uns Deutschen – einfach gesprochen – das Problem abgenommen hat. Das war nicht gut."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Das sollten Linnemann, Lindner und Merz bedenken, wenn es nach den Landtagswahlen an den Tisch mit Olaf Scholz geht: Auch der Kompromiss 1993 hat nur Symptome eines Problems behandelt. Aber nicht das Problem gelöst.

Nico Fried freut sich, von Ihnen zu hören. Schicken Sie ihm eine E-Mail an nico.fried@stern.de

Erschienen in stern 40/2023