Zwei Tage vor der Vertrauensfrage im Bundestag am 1. Juli will Bundeskanzler Gerhard Schröder den Ministern die Gründe für sein Vorgehen darlegen. Statt der turnusgemäßen Kabinettssitzung soll deshalb am 29. Juni ein vertrauliches Ministergespräch stattfinden, an dem keine Staatssekretäre oder Beamten teilnehmen. Das sagte der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg am Mittwoch. Schröder möchte erreichen, dass die Bundestagswahl um ein Jahr auf September 2005 vorgezogen wird.
Seinen Antrag auf Vertrauensfrage will er am Montag beim Bundestag einreichen und am 1. Juli im Plenum begründen. Anschließend ist eine einstündige Aussprache geplant, nach der abgestimmt wird. Falls Schröder keine Mehrheit erhält, hat Bundespräsident Horst Köhler drei Wochen Zeit, um über die Auflösung des Bundestages zu entscheiden und gegebenenfalls einen Wahltermin anzusetzen. Der vorgezogene Urnengang müsste dann innerhalb von 60 Tagen, also spätestens am 18. September stattfinden.
Bundeskanzler erläutert Ministern die Gründe
"Der Bundeskanzler wird mit den Ministern die Begründung der Vertrauensfrage besprechen", sagte Steg zu dem Gespräch am kommenden Mittwoch. Zur Frage des Abstimmungsverhaltens des Kabinetts wollte er sich nicht äußern. In den vergangenen Wochen war spekuliert worden, dass sich die Minister bei der Vertrauensfrage enthalten oder der Abstimmung fernbleiben könnten. Auf eine ähnliche Weise hatte Kanzler Willy Brandt 1972 eine Bundestags-Neuwahl erreicht.
Rot-Grün verfügt im Bundestag über 304 von 601 Sitzen. Die Kanzlermehrheit, die bei einer Vertrauensfrage notwendig ist, liegt bei 301 Stimmen. Mindestens vier Koalitionsabgeordnete müssten also gegen Schröder stimmen oder sich enthalten. Von den 13 Bundesministern haben neun ein Bundestagsmandat. Ihre Nein-Stimmen oder Enthaltungen würden reichen, um die Kanzlermehrheit zu verhindern. Auch ein Verzicht auf eine Teilnahme an der Abstimmung wäre denkbar.
Von den neun Ministern mit Mandat gehören drei der Grünen-Fraktion an, die bereits angekündigt hat, dem Kanzler das Vertrauen nicht versagen zu wollen. Aber auch die sechs Stimmen der SPD-Minister würden ausreichen, um einen negativen Ausgang der Vertrauensabstimmung herbeizuführen.
Die vier Minister ohne Bundestagsmandat sind Wolfgang Clement (Wirtschaft), Manfred Stolpe (Verkehr), Renate Schmidt (Familie) und Brigitte Zypries (Justiz).
Die letzte Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Neuwahlstrategie Schröders trifft möglicherweise das Bundesverfassungsgericht. "Ich behalte mir eine Verfassungsklage vor", wird der Grünen-Bundestagsabgeordnete Werner Schulz in der "Bild"-Zeitung zitiert. Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering wollten sich das Grundgesetz zurechtbiegen, begründete der Parlamentarier den Vorstoß.