Jahrzehntelanger Lauschangriff NSA hörte schon Kohl und Schröder ab

Altmaier, Pofalla, Kauder: Die Liste der mutmaßlichen Opfer amerikanischer Lauschangriffe wird immer länger. Nach neuesten Enthüllungen soll die NSA jahrzehntelang im Kanzleramt mitgehört haben.

Die Abhöraktionen der USA gegen die Bundesregierung sind nach neuen Enthüllungen umfangreicher als bislang bekannt. Nach Informationen der Plattform Wikileaks forschte der US-Geheimdienst NSA über Jahrzehnte hinweg das Kanzleramt aus.
Das berichteten die "Süddeutsche Zeitung", NDR und WDR unter Berufung auf Wikileaks-Unterlagen, die sie vorab einsehen konnten. Betroffen waren demnach neben der Regierung von Angela Merkel (CDU) offenbar auch die Regierungen ihrer Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) und Helmut Kohl (CDU).

Auf der nun veröffentlichten Liste mit NSA-Spähzielen stehen dem
Bericht zufolge insgesamt 56 Nummern, von denen etwa zwei Dutzend bis heute die aktuellen Nummern aus Merkels engster Umgebung seien. Darunter seien die Durchwahlen ihrer Büroleiterin und Vertrauten Beate Baumann, des Kanzleramtsministers Peter Altmaier (CDU) und des für die Koordination der Geheimdienste zuständigen Staatssekretärs Klaus-Dieter Fritsche. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) sei unter der Bezeichnung "Parl Merkel Advisor Kauder" aufgeführt. Zu finden sei auch die bis heute aktive Handynummer des früheren Kanzleramtschefs Ronald Pofalla (CDU).

Frühester Eintrag bezieht sich auf Kohl-Vertrauten

Von wann genau die jetzt von Wikileaks vorgelegte Liste stammt, ist
laut Bericht nicht bekannt. Der früheste Eintrag beziehe sich auf den
einstigen Kohl-Vertrauten Johannes Ludewig. Namentlich aufgeführt
seien ebenso Spitzenbeamte aus der rot-grünen Bundesregierung, die
1998 ins Amt kam. In den Dokumenten fänden sich außerdem Protokolle von Gesprächen Merkels aus den Jahren 2009 und 2011.

Dass die NSA wohl über Jahre das Handy der Kanzlerin abhörte, ist bereits seit Oktober 2013 bekannt. Vor einer Woche hatte Wikileaks
Unterlagen publik gemacht, wonach die NSA nicht nur Merkel, sondern mindestens bis zurück in die 1990er Jahre weite der Teile der Bundesregierung ausgespäht haben soll - darunter Spitzenbeamte und Minister aus dem Wirtschafts-, dem Finanz- und dem Landwirtschaftsressort. Altmaier hatte daraufhin US-Botschafter John B. Emerson ins Kanzleramt zitiert. Auch die Abgeordneten im
NSA-Untersuchungsausschuss hatten empört reagiert und Konsequenzen gefordert.

Wikileaks-Unterlagen werden geprüft

Zu den neuen Enthüllungen erklärte die Bundesregierung auf Anfrage
von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR, man prüfe die
Wikileaks-Unterlagen. Da ein Nachweis der Authentizität fehle, sei
eine abschließende Bewertung derzeit nicht möglich. In
Regierungskreisen hieß es laut Bericht, man wundere sich in dieser
Sache über nichts mehr.

tim/DPA