Was für ein wunderbarer Tag für eine Stadtrundfahrt. Der Sommer hat sich mit voller Wucht über Berlin gelegt, die Stadt schwitzt bei 33 Grad vor sich hin. Also rein in den Doppeldecker, rauf aufs dachlose Oberdeck, sich vom Fahrtwind kühlen lassen und den Hochsicherheitstrakt Hauptstadt von oben betrachten. Aber natürlich ist es ein selten dämlicher Tag für eine Stadtrundfahrt.
Die Tour-Stationen 13, 14 und 15 - also Unter den Linden, Friedrichstraße und Brandenburger Tor sind dicht. Was schon vorher klar war. Der Fremdenführer erklärt der Handvoll Gästen auf Deutsch und Dänisch, warum man leider auf diese Höhepunkte verzichten muss. "Barack Obama ist in der Stadt, überall herrscht Chaos", sagt er grimmig und stimmt "Money makes the world go round" an.
Irgendwann sind die Zivilisten in der Minderheit
Die Hoffnung, mit Hilfe eines Sightseeing-Busses irgendwie näher an den US-Präsidenten heranzukommen, mal die Perspektive zu wechseln, stirbt an der Museumsinsel, wo der Fahrer eine Pause einlegt. Nächster Stopp wäre der Hauptbahnhof, aber der liegt noch jenseitiger von Obamas Dunstkreis als alles andere.
Von hier oben fällt die massive Polizeipräsenz noch einmal mehr auf. Einsatzwagen sind alle paar Meter über die gesamte Innenstadt verteilt, sie parken auffällig unauffällig unter Bäumen in der Nähe des Alexanderplatzes. Sind postiert am Gendarmenmarkt, in den Hochhausschluchten der Leipziger Straße. Und je näher es ans Brandenburger Tor geht, desto mehr geraten die Zivilisten in die Minderheit. Vorteil an der höchsten Sicherheitsstufe: Die Straßen sind angenehm leer und die Busfahrt kostet statt 17 nur 10 Euro. Die Route ist halt kürzer – ein unfreiwilliger Obama-Rabatt, den das Unternehmen den Touristen gewährt.
"Raus geht immer, rein nicht"
Vielleicht wäre es ein Leichtes gewesen, hinter die Absperrungen zu kommen: Einfach im Touri-Laden eine Polizeimütze kaufen und ein hellblaues Hemd anziehen. Ein falscher Polizist wäre gar nicht weiter aufgefallen, weil jeder einzelne Beamte in der Massen-Anonymität untergeht. Und dann sind sie auch noch ortsfremd, weil sie aus allen Teilen des Landes angekarrt wurden: Baden-Württemberg, Sachsen, Hamburg. Am Rand des Sperrgebiets lungern die Beamten im Dutzend an den Absperrungen rum, kriegen Sonnenbrand und erklären den Schaulustigen, warum zwar Menschen das Sperrgebiet verlassen, aber niemand hinein darf: "Raus geht immer, rein nicht. Kennste ja", sagt ein Beamter im schönsten Leipzigerisch.
Wer von den Polizisten nicht stehen muss, sitzt in einem der unendlich vielen Dienstwagen, die in allen Formen und Farben durch das Regierungsviertel düsen. Als blaue Limousinen, grüne Busse, graue Zivil-VWs. Ungefragt kommt nur hinter die Metallzäune, wer ein blaues Hemd und eine dunkle Hose trägt. Oder Robocop-Schutzanzüge oder Bundespolizei-Dienstkleidung. Aber so: Un-Uniformierte müssen leider draußen bleiben.
Was wollen die Leute hier?
Berlin hat Erfahrung mit Staatsbesuchen, Sicherheitsvorkehrungen und Absperrungen. Und trotzdem zieht es die Leute magisch in Richtung Pariser Platz, obwohl dort seit Tagen alles abgeriegelt ist. Was sie eigentlich wissen. Es geht in diesen Tagen so wenig, dass die "Taz" auf ihrer Titelseite in Anspielung auf Ronald Reagans berühmten Satz aus Mauerzeiten spottete "Mr. Obama, open this Gate." Die Frage ist, was machen die ganzen Leute hier? Außer, auf Polizisten zu starren?
Eine kurze Umfrage unter den Anwesenden ergibt vor allem: nichts. Zumindest nichts, außer dem Satz "Mal schauen, wie nah man da herankommt." Es ist nicht sonderlich nah. Die Straße Unter den Linden, wegen der Erweiterung der U-Bahn-Linie 5 ohnehin kaum passierbar, war vom Osten aus in Höhe Neustädter Kirchweg komplett gesperrt. Von hier aus ist das Brandenburger Tor, vor dem Barack Obama seine Rede hielt, nur noch zu erahnen.
Minidemos und Fanclubs
Deswegen kann Mr. Obama auch nicht die Grüppchen von Demonstranten sehen, die wahlweise gegen das Gefangenenlager Guantanamo oder gegen Syriens Schlächter Baschar al Assad protestieren. Was er auch nicht sieht, ist ein Mini-Fantross aus Südafrika, der sich darüber moniert, seinem Helden nicht nahe kommen zu dürfen.
Zwei Amerikaner, offenbar Veteranen, freuen sich trotz der Hitze, der gigantischen Bannmeile und der Präsidenten-Worte, die sie nicht hören können. Sie sind nicht böse darüber, in Berlin zu sein: "Ich mag die Stadt. Ist besser als Minnesota", sagt der eine. "Alles ist besser als Minnesota", sagt der andere. Wenige Minuten später müssen die beiden weichen, weil die Polizei die Absperrung vorverlegt - noch einmal 15 Meter weiter weg von dort, wo die geladenen Gäste die schönen Worte des Präsidenten hören.
Was machen diese "Monteure" da?
Während seiner Rede vergrößert die Polizei nach und nach die Sperrzone. Immer nur ein paar Meter, aber wer sich plötzlich hinter der Absperrung wiederfindet, darf trotzdem bleiben. Am Eingang zur Behrenstraße, wo es zum Hintereingang des Adlons, dem Luxushotel am Pariser Platz, geht, werden plötzlich Plastikzäune aufgestellt. Raus geht immer, rein nicht. Kennt man ja. An der nun geschossenen Kreuzung machen Monteure irgendwas mit elektrischen Leitungen. Leider zupfen sie derartig linkisch herum, dass es schwerfällt, zu glauben, diese Männer könnten vom Fach sein. Sie fallen ungefähr genauso wenig auf, wie früher Stasi-Spitzel auf Ostberliner Untergrund-Konzerten.
Am Morgen des Obamania-Tags wunderte sich ein Hörer des lokalen Senders "Radio Eins" noch ernsthaft darüber, warum der Präsident ausgerechnet in die Stadtmitte kommen müsse. Tja. Vielleicht, weil zum Beispiel Spandau nicht so repräsentativ ist? Weil Regierungsviertel die natürliche Umgebung für Menschen wie Barack Obama sind? Aber vermutlich, weil der Berliner die Zumutungen seiner Stadt gelassen zu ertragen gelernt hat. Und Berlin eigentlich der Stein gewordene Ausnahmezustand ist. Deshalb war es ein schöner Tag. Nur nicht für Stadtrundfahrten.