Plötzlich Politfluencer? Comics, Klöpse, Kindertalk: Die neue Seite von Olaf Scholz

Olaf Scholz
Das Ehepaar Britta und Olaf Scholz bei der Verleihung des Global Citizen Award in New York
© Michael Kappeler / DPA
Huch? Der Kanzler ist dieser Tage praktisch auf Dauersendung – und zeigt sich ungewohnt persönlich. Ob als Per-Du-Regierungschef oder Bücherwurm. Was ist da los?

Wo ist Olaf Scholz? Es ist ungefähr eine Zeitenwende her, da ulkte das sogenannte Netz, der Bundeskanzler sei abgetaucht. Auf Wimmelbildern sollte der abhanden geglaubte Regierungschef gesucht werden, sogar fiktive Vermisstenanzeigen und eine "Die drei ???"-Folge wurden erdacht, die sich seinem Verbleib widmeten. Anfang 2022 war das, Scholz war erst wenige Monate im Amt – und wurde oft in der Versenkung verortet.

Heute ist der Eindruck ein gänzlich anderer. Der Kanzler: Er scheint plötzlich überall zu sein.

In Podcasts mit Rappern, im Interview mit Kindern, in kuriosen Online-Talkshows. Er ist Trending Topic auf Twitter, wird als Meme auf Instagram verschaukelt – auch noch auf herzliche Einladung des Kanzlers. Scholz, der Politfluencer?

Im Kanzleramt scheint sich die Überzeugung durchgesetzt zu haben, Scholz mehr als Menschen zeigen zu müssen. Mit Hobbys, Humor. Und nicht (nur) als pragmatischen Politiker, der einzig und allein die Weltläufe im Blick hat.

Der russische Angriffskrieg, seine Folgen und weitere Krisen ließen praktisch keine andere Erzählung von Olaf Scholz zu. Doch Sympathie ist eine harte Währung im Poltibetrieb, in einer stern-Umfrage von Ende Mai gaben 46 Prozent der Deutschen an, der Kanzler sei sympathisch. Kein schlechter Wert, doch: Die Hälfte sieht es anders.

Scholz‘ PR-Apparat, wenn man so will, besteht aus mehreren Gewerken. Im Referat "014 Medienberatung" sorgen drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür, dass der Kanzler medial möglichst gut wegkommt. Die Social-Media-Auftritte werden von zwei Arbeitseinheiten organisiert. Regierungssprecher Steffen Hebestreit koordiniert und entscheidet über Interviews. Anfragen kämen aus dem gesamten Medienspektrum, sagt ein Regierungssprecher dem stern. Bei der Entscheidungsfindung – ob Podcast, Hörfunk oder Printmedien – sei neben den Kriterien "Aktualität, Reichweite und Zielgruppe" natürlich auch der Zeitplan des Bundeskanzlers ausschlaggebend.

Aktuell gewährt Scholz, der sein Privatleben tunlichst aus der Öffentlichkeit heraushält, in allerhand Formaten doch noch den ein oder anderen neuen Zugang zu seiner Person. Ein Überblick – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Der Podcast-Kanzler

Besser bekannt für verbale Unverbindlichkeit, versucht Scholz in Podcasts das Gegenteil zu beweisen. In "Hotel Matze" besteht er darauf, beim "Du" zu bleiben: Er war schonmal als (Per-Du-)Vizekanzler zu Gast, das nun zu ändern, käme seiner Meinung nach "komisch".

Das Interview kreist um das Oberthema "Kompromisse", Scholz berichtet auch über persönliche, die er seit seiner Kanzlerschaft eingehen musste. Etwa der Umstand, "dass man nie allein ist", jedenfalls nicht wirklich. Oder von seinem Terminkalender, den er – seit seiner Zeit als Anwalt für Arbeitsrecht – in andere Hände gegeben habe. Ihm würden zwar Vorschläge gemacht, aber die konkrete Terminfindung finde ohne ihn statt. Ginge nicht anders, sagt Scholz.

Zuweilen gerät Scholz vor dem Podcast-Mikrofon regelrecht ins Plaudern: In "Machiavelli – Rap und Politik", aufgezeichnet in Berlin-Kreuzberg, wird er von Rapper RIN gefragt, ob er immer erreichbar sei. "Das muss ich. Ich kann auch nicht abschalten, auch im Urlaub bin ich nicht frei davon", sagt Scholz. "Und es wird auch immer sichergestellt, dass ich jederzeit und mit allen technischen Hilfsmitteln einsatzfähig bin." Das dürfe man von einem Kanzler auch erwarten.

Der Social-Media-Kanzler

Scholz ist auf allen nennenswerten Social-Media-Plattformen vertreten. Das Ziel, so viel darf man unterstellen: Seine politischen Botschaften – ungefiltert und in der Regel wenig unterhaltend – an so viele Menschen wie möglich zu bringen. Ein schnelles und schlankes Statement zum Weltmeistertitel im Basketball hier (bei X, vormals Twitter), einen ausführlicheren Exkurs in die deutschen Strompreise dort (bei Facebook), dazu ein paar Bilder aus New York (auf Instagram), wo Scholz an der UN-Vollversammlung teilnahm.

Insgesamt verfolgen 2,8 Millionen Menschen die großen Social-Media-Kanäle des Kanzlers, der sich in Formaten wie "Frag den Kanzler!" auch persönlich(er) präsentieren will. Bei dem Q&A legt der Kanzler zwar ungefähr so viel Esprit an den Tag, wie bei seinen analogen Bürgerdialogen. Dennoch erfährt man beispielsweise, wie viele Urlaubstage ein Kanzler hat. Spoiler: Die Antwort ist wenig überraschend. Aber Knalleffekt kann der Kanzler auch.   

Der Huch?-Kanzler

So ist Scholz ein regelrechter Coup gelungen, als er eine Verletzung am Auge – und seine provisorische Augenklappe – über die sozialen Netzwerke öffentlich machte und mit dem Hinweis versah: "Bin gespannt auf die Memes". Er hätte die Satire-Bilder sowieso nicht verhindern können, also setzte sich der Kanzler vor die Lage. Mit Erfolg. Die "Bild"-Zeitung schlagzeilte: "Respekt, Kanzler". Und nicht nur die Netzgemeinde stellte fest: Huch, der Scholz hat ja so etwas wie Selbstironie.

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Ein Hobby hat er auch, wobei es Leidenschaft besser treffen würde. Anstatt sich über die politische Weltlage auszubreiten, gab Scholz der "Süddeutschen Zeitung" durchaus überraschend und sehr ausführlich ein Interview über die Bücher und Lektüren seines Lebens. Dort verriet Scholz: "Ab und an lese ich auch Comics".

Für den jüngsten Huch?-Moment sorgte Scholz im WDR: Anlässlich des Weltkindertags am Mittwoch wurde das Radioprogramm von Kindern moderiert, Kanzler Scholz ließ sich zum Interview aus New York zuschalten. Dort sprach er über seine zweitliebste Freizeitbeschäftigung – das Rudern – und seine Lieblingsfächer (Deutsch und Geschichte).

Bleiben praktisch keine Fragen offen, außer vielleicht: Was isst der Kanzler eigentlich am liebsten? Sogar das hat er kürzlich beantwortet.

In der Online-Talkshow "Bembel & Gebabbel" ließ der Kanzler seine Komfortzone weit hinter sich – um Nancy Faeser im Hessen-Wahlkampf zu unterstützen – und offenbarte: Seine letzte Mahlzeit auf Erden wären wohl Königsberger Klopse. War am Ende des bizarren Auftritts auch etwas für die Nachrichtenagenturen dabei? Die politische Forderung, die große Kontroverse für die Titelseiten? Nicht wirklich.

Aber dafür bekam man den Kanzler von einer anderen Seite zu sehen.