Anzeige
Anzeige

Person der Woche Oh, der Scholz hat ja Humor

Bundeskanzler Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beim Sommerfest der SPD-Parteizeitung "Vorwärts"
© Soeren Stache / DPA
Scholz' Blessur trifft ihn einerseits in einem besonders ungünstigen Moment. Andererseits bieten ihm Verletzung und Augenbinde die Möglichkeit, in seinem öffentlichen Auftreten weitgehend verloren gegangene Charakterzüge zu präsentieren.

Es gibt in der Politik spontane Situationen, in denen die amtsbedingte Unnahbarkeit des Spitzenpersonals plötzlich aufbricht. Mit Angela Merkel haben das die Deutschen in ihrem ersten Amtsjahr erlebt, als sie bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 nach dem 1:0 gegen Polen auf der Tribüne in begeisterten Torjubel ausbrach. Es war im Verhältnis der Bürger zu ihrer relativ neuen Kanzlerin, das auf beiden Seiten noch von einer skeptischen Distanz geprägt war, ein erster Moment der emotionalen Gemeinsamkeit.

So geht es Scholz jetzt – wenn auch erst später und bedeutend schmerzhafter – mit seiner Blessur und der Piratenbinde. Dazu hat ausgerechnet eine Fähigkeit des Kanzlers entscheidend beigetragen, die in den ersten eineinhalb Jahren seiner Amtszeit immer wieder als überaus unterentwickelt kritisiert worden war: die Kommunikation. Statt auf unvermeidliche Schnappschüsse bei öffentlichen Auftritten zu warten und so die "message control" aufzugeben, beschlossen Scholz und seine Berater, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Im Foyer des Kanzleramts ließen sie den Kanzler mit Augenbinde in lässiger Pose und mit leichtem Grinsen fotografieren. Dann veröffentlichten sie das Bild, versehen mit einem Aufruf, in dem sich der Kanzler halb resignativ, halb ermunternd der Unvermeidlichkeit der allumfassenden Kommentierung fügte.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit Augenklappe, die er aufgrund einer Sportverletzung trägt
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit Augenklappe, die er aufgrund einer Sportverletzung trägt
© Steffen Kugler/Bundesregierung / DPA

Ausgerechnet Scholz‘ oft maskenhaftes, oft undurchdringliches Gesicht bekam in diesem Fall menschlich-freundliche Zügen, wenn auch unter blutigen Schrammen. Ausgerechnet der Kanzler mit seiner oft automatenhaften Sprache überwand so mit nur einem Bild und wenigen Worten die Distanz zwischen Amt und Bürgern. "Respekt, Kanzler", titelte die "Bild"-Zeitung.

Ob Olaf Scholz der neue Blick auf seine Person nützt? 

Scholz' Blessur trifft ihn einerseits in einem besonders ungünstigen Moment. Die Umfragewerte für ihn und seine Koalition sind im Keller, die Unzufriedenheit im Land ist groß. Der Kanzler muss damit leben, mit zerschlagenem Gesicht wie seine eigene politische Karikatur herumzulaufen. Andererseits bieten ihm Verletzung und Augenbinde die Möglichkeit, zwei in seinem öffentlichen Auftreten weitgehend verloren gegangene Charakterzüge zu präsentieren: Humor und Selbstironie. Am Montagabend beim Fest der SPD-Zeitung "Vorwärts" ließ er sich geduldig lächelnd auf der Bühne begutachten. Am Dienstag eröffnete er seine Rede auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in München (IAA) mit den Worten: "Das Wochenende hat mir noch einmal ganz persönlich gezeigt: So schön das Joggen ist, für manche Strecken nimmt man doch lieber das Auto."

Ob ihm der neue Blick auf seine Person auch als Kanzler nützt? Am Mittwoch suchte Scholz zumindest rhetorisch immer wieder die Nähe von Bürgerinnen und Bürger, um für seine Idee eines Deutschland-Pakts zu werben. Ihnen sei nicht mehr zu erklären, warum in Deutschland vieles zu lange dauere und warum die Politik nicht schnell und gründlich genug dagegen vorgeht. Der Staat und seine Angebote müssten funktionieren, und dafür will Scholz nun enger mit Ländern und Kommunen kooperieren.

Es ist ein Anlauf in misslicher Lage. Scholz antwortet mit seinem Vorschlag auf die miese Stimmung im Land, aber auch auf das schwindende Vertrauen in seine Kanzlerschaft. Die Sympathie aus den vergangenen Tagen könnte ihm helfen, diesen Niedergang zu bremsen. Dann könnte es entgegen der aktuellen Trends sogar sein, dass er bei der Bundestagswahl mit einem blauen Auge davonkommt – dann allerdings rein politisch.

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel