Olaf Scholz hat es selten leicht, aber diese Reise wird besonders schwer. Der Kanzler fliegt nach Israel und trifft einen Premierminister, der sich unbeeindruckt zeigt von jeglichem Druck selbst engster Verbündeter. Emmanuel Macron kritisiert die Regierung in Jerusalem seit Monaten für die Art ihres Vorgehens gegen die Hamas. Es würden zu viele Zivilisten im Gaza-Streifen sterben, sagte der französische Präsident bereits im November 2023, und die Armee solle aufhören, Frauen und Kinder zu töten. Zuletzt nahmen sogar die Mahnungen von Joe Biden an Schärfe zu. Premierminister Benjamin Netanjahu schade Israel mehr, als er helfe, schimpfte der US-Präsident mit Blick auf Tausende toter Zivilisten. Das sei ein großer Fehler. Wie wird der Kanzler Netanjahu jetzt begegnen?
An diesem Wochenende fliegt Olaf Scholz zunächst nach Jordanien und dann nach Israel. Es ist sein zweiter Besuch seit dem Terror vom 7. Oktober. Beim ersten Mal, zehn Tage nach dem Überfall, bei dem die Hamas etwa 1200 Israelis getötet und Hunderte als Geiseln verschleppt hatte, stand die Solidarität ganz oben. "Das ist ein Besuch bei Freunden in schwierigen Zeiten", sagte Scholz damals, sichtlich erschüttert. "Die Sicherheit Israels und seiner Bürger ist Staatsräson." Doch was bedeutet das konkret, wenn Israel jetzt die Grenzstadt Rafah angreifen und sich die Lage der Zivilbevölkerung weiter verschlechtern sollte?
Stimmung in Deutschland hat sich gedreht
Wenn Scholz an diesem Sonntag den Premierminister trifft, ist die Lage mit der zum Zeitpunkt seiner letzten Reise kaum noch vergleichbar. Israel nimmt sein recht auf Selbstverteidgung wahr. Aber die Folgen sind dramatisch. Die Stimmung in Deutschland hat sich gedreht, es gibt fast keine Solidaritätskundgebungen mehr für Israel. Das Schicksal der Geiseln ist häufig nur noch Randnotiz, in den meisten Medien beherrscht die Not der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen die Berichterstattung. Die Beziehungen dDeutschlands zu manchen Staaten des globalen Südens, um die sich Scholz nach seinem Amtsantritt besonders bemüht hatte, sind durch die grundsätzlich pro-israelische Position der Bundesregierung inzwischen einiger Belastung ausgesetzt. Und auch die internationalen Partner Deutschlands sind mit ihrer Kritik viel deutlicher als der Kanzler und seine Regierung.
Kurz vor Scholz‘ Reise kritisierte der demokratische Mehrheitsführer im US-Senat, Chuck Schumer, selbst Jude und stets ein wichtiger Fürsprecher Israels, Netanjahu heftig. Für den Umgang von Staaten untereinander höchst ungewöhnlich, mischte sich Schumer sogar in die israelische Innenpolitik ein und forderte Neuwahlen. Netanyahu sei vom Weg abgekommen, weil er sein politisches Überleben über die Interessen Israels gestellt habe. Wegen seiner Koalition mit Rechtsextremisten sei er "zu sehr bereit, die zivilen Opfer im Gazastreifen zu tolerieren", so Schumer. Die Unterstützung für Israel weltweit auf einen historischen Tiefstand fallen. Israel könne aber nicht überleben, wenn es zu einem "Paria" werde, also einem Staat, verstoßen von seinen Freunden.
"Israel muss Zivilisten schonen"
Eine solche Kritik würde Scholz wohl öffentlich niemals äußern. Ein deutscher Kanzler muss vorsichtiger zu Werke gehen, will er in Jerusalem überhaupt etwas erreichen. Deutschland stehe weiter "eng und unverbrüchlich" an der Seite Israels, betonte Regierungssprecher Steffen Hebestreit vor der Abreise seines Chefs. Aber unter Freunden wird Scholz wohl auch versuchen, Israel mehr Entgegenkommen abzuringen, um die Lage der palästinensischen Zivilbevölkerung zu verbessern und eine Offensive der Armee auf die Grenzstadt Rafah zu verhindern.
Scholz selbst hatte sich jüngst in einer Videoansprache zum Beginn des Fastenmonats Ramadan geäußert. "Ja, Israel hat das Recht, sich gegen den Terror der Hamas zu verteidigen", sagte der Kanzler. "Dabei ist auch klar, dass sich Israel an die Regeln des Völkerrechts zu halten hat und Zivilisten schonen muss." Diese Forderung klang zumindest schon etwas kritischer als die Worte des Kanzlers in den ersten Wochen nach dem 7. Oktober, als er "keinen Zweifel" hatte, dass Israel sich an das Völkerrecht halten werde.
Auch setzt Scholz das Schicksal der verschleppten Israelis mittlerweile auf eine Stufe mit dem Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung. Man müsse sicherstellen, dass die Geiseln "endlich freigelassen werden und dass endlich mehr humanitäre Hilfe in Gaza ankommt". An anderer Stelle fügte der Kanzler noch die ausdrückliche Warnung vor einer Offensive gegen die Grenzstadt Rafah hinzu.
Auf Abstand zu Friedrich Merz
Der Kanzler bemüht sich um Differenzierung, ohne Israel zu brüskieren. Einserseits muss er Rücksicht nehmen auf wachsende Skepsis gegenüber dem israelischen Vorgehen in der deutschen Öffentlichkeit. Andererseits gibt ihm das auch die Gelegenheit, sich von Oppositionsführer Friedrich Merz abzusetzen. Der CDU-Vorsitzende hatte sich bei seinem Besuch in Israel zumindest öffentlich nahezu kompromisslos an die Seite Israels gestellt und sich dafür auch Kritik in Deutschland eingehandelt. "Die israelische Regierung und die israelische Armee tun nach meinem Eindruck alles, um die Zivilbevölkerung dort zu schützen", hatte Merz mit Blick auf den Gaza-Streifen erklärt. Es sei vor allem Aufgabe der Hamas, die Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbrauche, weitere Opfer zu verhindern. Wenn Merz Netanjahus bester Freund ist, reicht Scholz der zweite Platz.

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Bevor der Kanzler nach Jerusalem reist, wird er Jordanien besuchen. Er trifft dort König Abdullah II., mit dem er sich schon jüngst am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz ausgetauscht hat. Jordanien hat eine Luftbrücke initiiert, über die mehr Hilfslieferungen an die Zivilbevölkerung in Gaza gelangen sollen. Zwei Transportmaschinen der Bundeswehr mit deutsch-französischen Teams an Bord, sind bereits in Jordanien angekommen. Die Crews koordinieren sich nun mit Piloten aus anderen Staaten. Dann werden die Maschinen mit Lieferungen des World Food Programmes beladen. Dass die erste Maschine bereits medienwirksam gen Gaza abhebt, während sich der Kanzler in der Region befindet, galt am Freitag jedoch noch als eher unwahrscheinlich.