Pascal-Prozess Angeklagte wieder auf freiem Fuß

Ein kleiner Junge verschwindet spurlos, nachdem er brutal missbraucht worden sein soll. Zwölf Personen wurden angeklagt und eingesperrt. Jetzt sind alle wieder frei. Laut Gericht fehlen objektive Beweismittel.

Der Saarbrücker Prozess um den Missbrauch und Mord an dem fünfjährigen Pascal hat eine überraschende Wende genommen: Alle sechs noch in Untersuchungshaft sitzenden Angeklagten kamen auf freien Fuß. Darunter auch die mutmaßliche Drahtzieherin Christa W., die Wirtin der "Tosa-Klause" war, in der Kinderschänder Pascal ermordet haben sollen. Das Landgericht begründete dies mit "erheblichen Zweifeln" an der Anklage: Wegen der vielen Widersprüche bei den Aussagen von Zeugen und Beschuldigten gebe es keinen dringenden Tatverdacht mehr. Zudem seien im bisherigen Prozess keine objektiven Beweismittel aufgetaucht. Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde gegen die Entscheidung vor dem Oberlandesgericht an. Die Entscheidung des Gerichtes sei nicht nachvollziehbar, sagte ein Sprecher.

Leiche nie gefunden

Der Vorsitzende Richter Ulrich Chudoba sagte, es habe bislang nicht geklärt werden können, ob Pascal am Tag seines Verschwindens überhaupt in der "Tosa-Klause", dem mutmaßlichen Tatort, gewesen sei. Dutzende Besucher der Kneipe waren in den vergangenen Monaten als Zeugen gehört worden. "Es ist kaum vorstellbar, dass alle Zeugen nichts mitbekommen oder systematisch gelogen haben", sagte Chudoba. In der "Tosa-Klause" soll Pascal laut Anklage am 30. September 2001 nacheinander von mehreren Männern brutal vergewaltigt worden sein. Dabei oder kurz danach starb der Junge. Seine Leiche wurde nie gefunden.

Schon vorher waren von den insgesamt zwölf Beschuldigten, die sich wegen Mordes und Kindesmisshandlung an Pascal oder der Beihilfe verantworten müssen, sechs frei gelassen worden. Die jetzt frei gelassenen sechs Angeklagten sitzen zum Teil seit mehr als drei Jahren in Untersuchungshaft.

"Fortdauer der Haft unverhältnismäßig"

Die Staatsanwaltschaft legte gegen die Entscheidung des Gerichts Beschwerde beim Saarländischen Oberlandesgericht (OLG) ein. Die Freilassungen seien nicht nachvollziehbar, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Raimund Weyand. Vor wenigen Wochen habe die Kammer im Rahmen der Entscheidung über die Haftbeschwerde eines der Angeklagten noch deutlich gemacht, dass sie an einem dringenden Tatverdacht festhalte. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hat sich seitdem durch die Beweisaufnahme nichts geändert.

Das Landgericht hatte in einer Zwischenbilanz in dem seit fast einem Jahr und neun Monaten andauernden Indizienprozess bekannt gegeben, es bestehe nur noch ein hinreichender Tatverdacht gegen die Angeklagten. Richter Chudoba sagte, auf Grund der bisherigen Beweisaufnahmen wäre die Fortdauer der Haft wegen dringenden Tatverdachts nicht mehr gerechtfertigt, sondern vielmehr "unverhältnismäßig." Die nun freigelassenen Angeklagten hatten bereits dreieinhalb Jahre in Untersuchungshaft gesessen. Der Prozess gegen alle zwölf Beschuldigten wird fortgesetzt.

Prozess begann gegen 13 Angeklagte

Pascal ist seit dem 30. September 2001 spurlos verschwunden. Die Ermittlungen kamen ein Jahr später auf Grund der Aussage eines Pflegesohns der Wirtin Christa W. ins Rollen. Nach Aussagen Beschuldigter gab es einen Kinderschänderring, dessen Opfer Pascal und andere Kinder in einem Hinterzimmer der "Tosa-Klause" gewesen sein sollen. Im November 2002 gab es die ersten Festnahmen. Am 20. September 2004 begann der Prozess gegen 13 Angeklagte wegen gemeinschaftlichen Mordes beziehungsweise Beihilfe dazu sowie wegen sexuellen Kindesmissbrauchs. Im Lauf des Verfahrens legten drei Angeklagte ein Geständnis ab, die Hauptverdächtigen bestritten jedoch die Verbrechen. Nachdem ein 51-jähriger Angeklagter einen Schlaganfall erlitten hatte, wurde das Verfahren gegen ihn im Oktober 2005 abgetrennt und vorläufig eingestellt. Zugleich hob die Strafkammer die Haftbefehle gegen zwei Männer und zwei Frauen auf, weil der dringende Tatverdacht wegen Beihilfe zum Mord nicht mehr bestand. Zwei Beschuldigte waren bereits früher aus der Untersuchungshaft entlassen worden.

Wirtin bestreitet die Tat

Laut Anklage wurde Pascal am 30. September 2001 von fünf Männern in der Kneipe vergewaltigt. Weil er sich heftig gewehrt und geschrien habe, sollte ihn die Angeklagte Andrea M. auf Weisung der Wirtin Christa W. und des letzten Vergewaltigers Martin R. mit einem Kissen ruhig stellen. Dabei soll das Kind erstickt oder an den Verletzungen, die ihm bei den Misshandlungen zugefügt wurden, gestorben sein. Die Wirtin soll die Tat gefilmt oder fotografiert haben, Beweise dafür gibt es aber nicht. Ein Angeklagter hatte eingeräumt, Pascal und den Pflegesohn der Wirtin in der "Tosa-Klause" sexuell misshandelt zu haben. Der Wirtin habe er jedes Mal 20 Mark (rund zehn Euro) gegeben. Mit dem Verschwinden von Pascal, der nach Auffassung der Polizei von einem Kinderschänderring getötet wurde, habe er aber nichts zu tun. Christa W. bestritt vor Gericht die Vorwürfe und sagte, sie werde zu Unrecht von Mitangeklagten beschuldigt. Der fünfjährige Pascal war am Tag seines Verschwindens nach Aussagen der Eltern mit einem Fahrrad in Saarbrücken-Burbach zu einer Kirmes unterwegs. Die Täter sollen die Leiche des Jungen in einer Kiesgrube im französischen Forbach vergraben haben. Mehrere Suchaktionen waren jedoch erfolglos. Auch das Fahrrad blieb verschwunden.

AP · DPA
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