Pendlerpauschale Bange Blicke nach Karlsruhe

Dass Urteile des Bundesverfassungsgerichts große politische Auswirkungen haben, ist nichts Außergewöhnliches. Doch selten ist eine Entscheidung der Karlsruher Richter von Koalition und Opposition mit solcher Spannung erwartet worden wie die am Dienstag zur Pendlerpauschale.

Mit der Pendlerpauschale wird ein heftiger politischer Streit quer durch die Parteien der Großen Koalition wieder einmal auf juristischer Ebene entschieden. Und angesichts der aktuellen Debatte über Steuerentlastungen hat das Urteil, das das Karlsruher Verfassungsgericht am Dienstag verkünden wird, noch zusätzliche Brisanz gewonnen.

Vor allem im bayerischen Landtagswahlkampf gehörte der Streit um die Pendlerpauschale zu den prägenden Themen. Schließlich hatte die CSU am lautesten ihre Wiedereinführung vom ersten Kilometer an gefordert. Die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel zeigte der bayerischen Schwesterpartei aber die kalte Schulter und beharrte darauf, erst einmal das Karlsruher Urteil abzuwarten. Und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) verteidigte in der mündlichen Verhandlung des Verfassungsgerichts am 10. September beredt die Abschaffung der Pauschale mit Hinweis auf die Haushaltsprobleme und die hohe Staatsverschuldung.

Schließlich war das in der Tat auch der Grund dafür, dass die Pendlerpauschale in ihrer ursprünglichen Form seit dem 1. Januar 2007 nicht mehr gilt. Bis dahin konnten Arbeitnehmer ihre Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz vom ersten Kilometer an beim Finanzamt geltend machen und so ihre Einkommensteuer reduzieren - unabhängig vom benutzten Verkehrsmittel. Nach der Änderung können die Fahrtkosten dagegen erst ab dem 21. Kilometer abgerechnet werden. Dass die 30 Cent pro Kilometer somit nur noch in der Steuererklärung von Fernpendlern auftauchen, bezeichnete Steinbrück in der Karlsruher Verhandlung als "Härterfallregelung".

Die Einsparung im Bundeshaushalt wird auf jährlich rund 2,5 Milliarden Euro beziffert. Im Januar befand der Bundesfinanzhof jedoch, dass die Neuregelung verfassungswidrig ist, und legte sie Karlsruhe zur Entscheidung vor. Die Wege zur Arbeit seien rein berufliche Aufwendungen und die Pendlerkosten unvermeidbare Ausgaben, denen sich Arbeitnehmer nicht entziehen könnten, urteilte der im München ansässige Finanzhof.

Werkstorprinzip spielt entscheidende Rolle

Das beanstandete so genannte Werkstorprinzip dürfte denn auch in dem Urteil des Zweiten Senats in Karlsruhe eine entscheidende Rolle spielen. Es besagt, dass aus Sicht des Finanzamts die Arbeit erst am Werkstor und nicht schon beim Verlassen des Hauses beginnt. Folglich gehören Kosten für die Fahrt zur Arbeit zum privaten Bereich und können deshalb nicht mehr bei der Steuererklärung geltend gemacht werden. Dieses im deutschen Steuerrecht erst mit Abschaffung der Pendlerpauschale eingeführte Werkstorprinzip kommt in vielen anderen europäischen Staaten schon länger zur Anwendung. Darauf hat Steinbrück in der Verhandlung ausdrücklich hingewiesen.

Die Prozessbevollmächtigten der Kläger, bei denen es sich um Fernpendler aus Niedersachsen und dem Saarland handelt, argumentierten naturgemäß ganz anders. Wie der Bundesfinanzhof ist auch das Finanzgericht Niedersachsen ihrer Argumentation gefolgt. Beide halten es für verfassungswidrig, dass die Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht mehr als Werbungskosten geltend gemacht werden dürfen. Dies sei ein Verstoß gegen das sogenannte Nettoprinzip, wonach im Einkommensteuerrecht die finanzielle Leistungsfähigkeit nach dem Saldo aus Erwerbseinnahmen und Erwerbsaufwendungen bemessen wird.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Das Urteil zur Pendlerpauschale ist auch die erste große Entscheidung des Zweiten Senats unter dem neuen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Prognosen über den Ausgang des Verfahrens wagte auch einen Tag vor der Urteilsverkündung kaum jemand.

Kritische Fragen stellten die Verfassungsrichter in der mündlichen Verhandlung sowohl an Kläger als auch Beklagte. Nicht ausgeschlossen wird auch eine differenzierte Entscheidung, die weder auf eine vollständige Abweisung der Normenkontrollanträge hinausläuft noch einen vollständigen Erfolg im Sinne einer kompletten Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale in voller Höhe. Je komplizierter aber die Entscheidung ausfällt und je größer der verbleibende Spielraum für den Gesetzgeber sein wird, desto mehr Sprengstoff wird die Pendlerpauschale auch nach der Verkündung noch für die Große Koalition in Berlin bieten. Selbst ein Teilerfolg in Karlsruhe wird den neuen bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer kaum zu einer demutsvollen Haltung in dieser Frage bekehren.

AP
Gerhard Kneier, AP