"Handelsblatt": Als unsichtbares Motto stand über dem Hamburger SPD-Parteitag: Aufschwung für alle. Die SPD will sich von der Union distanzieren. Zugleich verspürt sie eine tiefe Sehnsucht nach Harmonie in den eigenen Reihen. Kein Moment des Parteitags rührte die Genossen so wie der Händedruck zwischen Müntefering und Beck. Doch dieser Eindruck trügt. Zwar hat Beck durch seinen Arbeitslosengeld-Coup die Machtfrage kurzfristig für sich entschieden. Aber der Kontrast zwischen der zweistündigen Schützenvereinsrede des Pfälzers und dem 30-minütigen, frenetisch beklatschten Wahlkampf-Stakkato des Vizekanzlers offenbarte brutal die Defizite des Parteichefs. Spätestens im Frühjahr werden die SPD-Linken weitere Korrekturen an Hartz IV und der Rente mit 67 fordern. Wie weit will Beck ihnen noch folgen?
"Märkische Oderzeitung": Für sich genommen sind die neuen Positionen keine Revolution. Aber in der Summe zeigt sich, dass die SPD ihren Kompass weit mehr nach links justiert, als es ihre Spitzen verbal zugestehen. Man kann es auch so sehen: In Hamburg ging es den Sozialdemokraten vor allem um die Partei, weniger um das Land; befördert von einem Vorsitzenden, der sein ganzes bisheriges Wirken darauf ausgerichtet hat, die wunde sozialdemokratische Seele zu pflegen. Das ist aus der derzeitigen Lage der SPD heraus, angeschlagen wie sie, durchaus nachvollziehbar. Für eine Regierungspartei indes wirft das die Frage der Berechenbarkeit auf.
"Tageszeitung":
Becks Stärke speist sich vor allem aus der Schwäche der Partei. Er hat dem Unbehagen an der Schröder-Müntefering-SPD eine Bresche geschlagen, mehr aber auch noch nicht. Für diese entschlossene Unentschlossenheit hat der Parteitag ein hübsches Symbol gefunden: Jubel für eine öde Rede von Beck, Jubel für eine glänzende Rede seines Antipoden Müntefering.
Kölner Stadt-Anzeiger": CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hat nach dem SPD-Parteitag von Hamburg den Willen der CDU bekräftigt, bei der längeren Auszahlung des Arbeitslosengeldes I zu einer Vereinbarung in der Großen Koalition zu kommen. "Wer länger eingezahlt hat, soll mehr Geld bekommen", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger". "Wir werden dazu ein Modell vorlegen, das deutlich macht, dass unser Ansatz der Kostenneutralität verwirklicht werden kann." Pofalla erklärte weiter: "Wir werden im Koalitionsausschuss am kommenden Sonntag darüber reden. Für uns gibt es zwei unabdingbare Voraussetzungen. Wir wollen erstens eine aufkommens-neutrale Finanzierung. Zweitens wollen wir den rbeitslosenversicherungsbeitrag so senken, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wieder mehr Netto im Geldbeutel haben. Die Erfolgsrendite muss sich für sie auszahlen. Das hat Priorität." Bei den anstehenden Gesprächen komme Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) eine entscheidende Rolle zu, betonte der CDU-Generalsekretär. "Der Bundesarbeitsminister muss dem Koalitionsausschuss vortragen, wie viel Spielraum wir beim Arbeitslosenversicherungsbeitrag haben. Auf der Basis wird verhandelt."
Saarbrücker Zeitung": Der neue stellvertretende SPD-Vorsitzende, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, glaubt nicht, dass die große Koalition nach dem Hamburger SPD-Parteitag in schwereres Fahrwasser kommt. "Diese Dramatik wird herbei geschrieben", sagte Steinmeier der "Saarbrücker Zeitung". "Ich sehe die Arbeitsfähigkeit der Koalition nicht in Gefahr". Zu der in Hamburg geäußerten massiven Kritik an der Union und Kanzlerin Angela Merkel sagte Steinmeier: "Es ist doch normal in einer große Koalition, dass beide Seiten für die nächste Wahl eine Aufstellung suchen, wo sie wieder führende Kraft einer Regierung werden können". Steinmeier mahnte, Partei- und Regierungshandeln der SPD dürften nicht auseinanderdriften. "Mir geht es darum, genau das nicht zuzulassen. Wir dürfen die Partei nicht auseinander fallen lassen in die so genannten Regierungspragmatiker und die Parteiidealisten". Die neue Stellvertreterriege könne dafür sorgen. "Wir werden erfolgreich sein, wenn nicht jeder von uns für eine Gruppe oder Flügel spricht, sondern wenn wir uns alle drei als Brücke in die Partei verstehen". Steinmeier äußerte sich kritisch zum Parteitagsbeschluss über ein Tempolimit von 130 kmh auf Autobahnen. "Bevor wir hier politische Entscheidungen treffen, sollten wir die ökologischen Vorteile und die ökonomischen Nachteile noch einmal dringend abwägen". Ein Tempolimit bringe maximal ein Prozent der geforderten CO2-Einsparung. "Die Modernisierung der Kraftwerks- und Antriebstechnologien und neue Kraftstoffe sind wichtiger für die Umwelt", sagte der Minister.
"Stuttgarter Zeitung": Bahnchef Mehdorn kann sich seinen Plan, die Bahn an die Börse zu bringen, vorerst abschminken. Die SPD macht nicht mehr mit. Da es auch in der Union und bei den Ländern Widerstand gibt, wird die Teilprivatisierung erst nach der Bundestagswahl umgesetzt werden. Wenn überhaupt je nachdem, wie die Wahl ausgeht. Der SPD-Parteitag hat bei dem Thema ein Exempel statuiert. Er hat vielfältige Bedenken in der Bevölkerung gegen die weitere Aufgabe von Staatseigentum aufgenommen und sich willens gezeigt, aus schlechten Erfahrungen zu lernen im Energiebereich etwa, wo Monopole die Preise hochtreiben. Der Marsch in den Sozialismus ist es aber nicht, wenn staatliche Daseinsvorsorge vor ökonomische Interessen gestellt wird. "Landeszeitung": Selbst als "Autokanzler" versuchte die SPD Gerhard Schröder vergessen zu machen. Als ob es noch einer Symbolik bedurft hätte für die Abkehr von Schröders Kurs, brachten die Genossen ihre Forderung nach einem generellen Tempolimit auf den Weg. Ob's dem Klima viel nützen würde, sei dahingestellt. Aber vermutlich ist es darum nicht wirklich gegangen. Denn die SPD hat nicht nur einen klaren Linksruck vollzogen, sondern auch gebrochen mit der Reformpolitik ihrer einstigen Galionsfigur. Die Gewerkschaften vernehmen die Botschaften aus der Hansestadt mit weitaus größerer Freude, als die Wirtschaft und der Berliner Koalitionspartner der SPD. Das Zweckbündnis mit der Union könnte nun deutlich vor 2009 enden. Denn die Gefahr, dass sich die Beteiligten zwecks Machterhalts bis zur Unkenntlichkeit verbiegen müssen, ist nach diesem Parteitag gewachsen.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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"Der Tagesspiegel": Die Partei hat tatsächlich einen Schwenk vollzogen, nur eine ganze Wende ist es noch nicht. Dieses Diktum näher zu den Menschen ist nicht das Wort eines großen Banalen, sondern ist mit Beschlüssen verbunden. Die Bahnprivatisierung, um ein eklatantes Beispiel zu nehmen, wird es nicht so wie vorgesehen geben. Wenn die Volksaktie käme, würde das am Befund nichts ändern. Damit aber wird das zum Fall fürs Kabinett der christdemokratischen Kanzlerin. Zu einem schwierigen Fall. Beck kann mit der Volksaktie gut leben. Aber auch Angela Merkel? Sie und ihre Partei sind herausgefordert, und nicht nur auf eine Weise. Der Wahlkampf der Sozialdemokraten nimmt Konturen an, die Strategie wird klarer: Die SPD drängt die Linke nach links ab, um sich mehr Platz zu verschaffen, den verlorenen zurückzuholen. Zugleich schaut sie dem Volk aufs Maul und fordert, was dem gefällt.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat bestritten, dass die Beschlüsse des Hamburger Parteitages zu mehr sozialem Profil unter dem Eindruck der Konkurrenz durch die Linkspartei getroffen worden sind. "Es ging in Hamburg um die Standortbestimmung der SPD. Dabei haben wir nicht auf andere geschielt", sagte Wowereit dem in Berlin erscheinenden "Tagesspiegel". Er ermahnte zugleich dazu, das Hamburger Programm nun auch "in Regierungshandeln umzusetzen". Es seien jetzt nicht alle Probleme behoben. "Nur wenn ein stetiges Bemühen erkennbar wird, kann die SPD Erfolg haben."
Der Chef der Eisenbahnergewerkschaft Transnet, Norbert Hansen, befürchtet, dass die Privatisierung der Bahn vorerst gescheitert ist. "Die Union will keine Bahn-Privatisierung über Volksaktien", sagte SPD-Mitglied Hansen dem Tagesspiegel (Montagausgabe). "Ich gehe davon aus, dass die Union das auf ihrem Parteitag beschließen wird. Und dann ist die Privatisierung in dieser Legislaturperiode gescheitert", meinte Hansen. Für die Bahn hätte das erhebliche Nachteile. Es bestehe die Gefahr, "dass die Bahn im Wettbewerb in große Nachteile gerät, weil ihr das unbedingt erforderliche Kapital fehlt, um in diesem Wettbewerb bestehen zu können", warnte der Transnet-Chef. Hansen nannte den Beschluss des SPD-Parteitags einen "schweren Fehler". Er befürchtet erhebliche Nachteile für die Bahn und ihre 230.000 Mitarbeiter. "Die Zukunft von einigen Hunderttausende Mitarbeitern hängt davon ab", warnte der Gewerkschaftschef. Die Bahn und ihre Beschäftigten kämen nach dem Parteitagsbeschluss in eine sehr problematische Lage. Denn die mittelfristige Finanzplanung der Bahn beinhalte eine Kapitalbeteiligung, die es jetzt so nicht geben wird. "Die Bahn braucht jetzt Geld aus dem Bundeshaushalt, um ihren Kurs finanzieren zu können", stellte Hansen klar. Andere Konzerne, etwa aus Frankreich oder Österreich, würden nicht schlafen und aus dem europäischen und deutschen Markt kräftig Logistikkapazitäten einkaufen. "Zum Nachteil der Bahn und zum Nachteil des Wirtschaftsstandortes Deutschland", warnte Hansen. Ohne Privatisierung werde der Anteil der Bahn am Verkehr in Zukunft zugunsten anderer deutscher und ausländischer Konzerne als Wettbewerber schrumpfen.