Als Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar verhaftet wurden, kamen gerade die ersten CDs auf den Markt, EC-Karten waren selten und VHS-Rekorder nahezu unbezahlbar. Der Kalte Krieg steuerte schnurstracks auf seinen Höhepunkt zu, die deutsche Wiedervereinigung war so unvorstellbar wie Internet und Handys. Das war 1982. Nun, fast ein Vierteljahrhundert später, ist all das alltäglich. Ein Alltag, mit dem sich die beiden ehemaligen RAF-Kämpfer vielleicht bald näher befassen müssen. Denn Mohnhaupt und Klar wollen nach 24 Jahren raus aus dem Knast. Ihre Chancen stehen gut.
Ehemaligen Angehörigen des RAF-Terrors macht diese Aussicht Angst. So wie Hergard Rohwedder, Witwe des 1991 ermordeten Treuhand-Chefs Detlev Karsten Rohwedder. Sie verlangt, dass "die Täter ihr Handeln bereuen. Bislang hat das keiner dieser früheren Terroristen getan", sagt sie. Strafrechtler und Experten beurteilen die aktuellen Entlassungsbemühungen anders. "Wenn jemand wie Christian Klar den Bundespräsidenten um Gnade bittet, und damit den Staat, den er früher bekämpft hat, dann ist das ein deutliches Zeichen für die Abkehr von seinen Taten", sagt der ehemalige hessische Justizminister Rupert von Plottnitz (Grüne).
24 Jahre sind zu lang
Aber heißt das auch Reue, wie sie die Witwe des ehemaligen Treuhand-Chef fordert? Für Lorenz Böllinger, Kriminologe und Terrorismusexperte an der Uni Bremen, steht dieser Aspekt nicht unbedingt im Vordergrund. Die 24 Jahre, die Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar bislang verbüßt haben, empfindet er bereits als zu lang und vor allem ungerecht. "Bei Wirtschaftsdelikten oder auch bei Urteilen gegen Nazis wurde auf die Verwirklichung des staatlichen Strafbedürfnis' verzichtet. Hier wurde teilweise viel früher begnadigt", sagt er.
Seit einer Bundesverfassungsgerichtsentscheidung von 1977 bedeutet ein lebenslanges Urteil nicht mehr zwingend, dass der Verurteilte auch den Rest seines Lebens in Haft verbringen muss. Weil für die Karlsruher Richter diese Strafe grundgesetzwidrig war, kann seitdem nach 15 Jahren Haft erstmals eine vorzeitige Entlassung beantragt werden, in besonders schweren Fällen nach 18 Jahren. Ein Gefängnisaufenthalt von 24 Jahren oder länger ist äußerst selten in der jüngeren Geschichte Deutschlands.
Klar sollte bis 2009 sitzen
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in den 90er Jahren entschieden, dass Ex-RAF-Mitglied Christian Klar noch bis 2009 in Haft sitzen muss - also insgesamt 26 Jahre lang. Weil ihm keine anderen Rechtsmittel zur Verfügung stehen, hat der mittlerweile 54-Jährige ein Gandenersuch bei Bundespräsident Horst Köhler gestellt. Es ist für ihn der letzte Ausweg, um vorzeitig aus dem Knast zu kommen. Genaue Kriterien für das Verfahren gibt es nicht, "es liegt allein im Ermessen der Verwaltungsbehörde, in diesem Fall des Bundespräsidenten, ob er vom Gnadenrecht gebraucht macht oder auch nicht", so Böllinger.

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Bei Brigitte Mohnhaupt liegt der Fall anders. Sie hat die von einem Gericht festgelegte "Mindesthaftzeit" von 24 Jahren bereits abgesessen und nun ihre Entlassung beantragt. Dazu reicht allerdings kein einfacher Antrag. Dem zuständigen Gericht müssen zudem diverse Gutachten vorlegt werden, dazu Stellungnahmen zu ihren frühern Taten. Geprüft wird auch, ob die Schwere der Schuld die vorzeitige Entlassung rechtfertigt. Lorenz Böllinger glaubt aber, dass inhaltlich nichts dagegen spricht. Auch von Plottnitz ist vorsichtig optimistisch.
Mit dieser Meinung sind sie nicht allein, selbst die oberste Anklagebehörde, die Bundesanwaltschaft, hat sich bei der ersten Verhandlung in Stuttgart dafür ausgesprochen, die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Die Chancen für Brigitte Mohnhaupt, nach mehr als 24 Jahren wieder in Freiheit zu sein, stehen also gut. Die endgültige Endscheidung darüber fällt im Februar.
Was allerdings erwartet sie in der Freiheit? Wie fängt man im Alter von fast 60 Jahren noch ein neues Leben an? Ist man nach so einer langen Haft überhaupt noch in der Lage, sich in der Welt zurecht zu finden? Jurist Böllinger, der gleichzeitig als Psychologe arbeitet, will festgestellt haben, dass "solche Langzeitunterbringungen erstaunlich wenig traumatisierend sind, dennoch verarmen die Betroffenen emotional natürlich".
Entscheidend nach einer so langen Haft seien die so genannten sozialen Empfangsräume. Also: Welche Beziehungen gibt es noch zu Freunden und Verwandten? Wer nimmt sich der Ex-Gefangenen an? Wo kommen sie unter? Sollte es keinen ausreichenden Auffangraum durch Angehörige mehr geben, "muss sich der Staat stärker als bislang an der Resozialisierung beteiligen. Wie etwa mit Psychotherapie und generelle Beratung".