Ricarda Lang Reform von Paragraf 218? "Der richtige Zeitpunkt dafür ist jetzt"

Ricarda Lang
Ricarda Lang: Von Anfang 2022 bis Ende 2024 war sie die Vorsitzende der Grünen
© Political-Moments / Imago Images
Im stern startet Ricarda Lang einen letzten Appell für die Reform des Paragrafen 218. Den Abgeordneten, die ein anderes Abtreibungsrecht erreichen wollen, läuft die Zeit davon.

Am Dienstag kommen die Abgeordneten zum letzten Mal in dieser Wahlperiode zu einer Sitzung im Bundestag zusammen, denn in weniger als zwei Wochen finden die Neuwahlen statt. Für die Parlamentarier, die eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs noch in dieser Legislatur erreichen wollten, läuft die Zeit davon. Im stern startet Ricarda Lang, ehemalige Vorsitzende der Grünen, einen letzten Appell, darüber noch in dieser Legislatur abzustimmen. Es sei wichtig, dass der Paragraf 218 reformiert und Schwangerschaftsabbrüche in den ersten Monaten außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt würden, sagt Lang. "Und der richtige Zeitpunkt dafür ist jetzt", so die Grünen-Politikerin, "deshalb sollten wir im Parlament den Weg für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen frei machen."

Sie wolle in einem Land leben, in dem man Frauen vertraue. "Und ich fordere alle Männer auf, die denken, dass dieses Thema nichts mit ihnen zu tun hat, an ihre Schwestern, Ehefrauen oder Töchter, also Frauen, die sie lieben, zu denken: Wenn diese Frauen in einer sehr schwierigen Situation sind, wollen sie, dass sie unterstützt und gut beraten oder stigmatisiert und kriminalisiert werden?" 

Ricarda Lang: "Der richtige Zeitpunkt dafür ist jetzt"

Gerade in einer Zeit, in der Frauenrechte weltweit attackiert würden, man schaue zum Beispiel in die USA, sollte die Antwort darauf nicht sein, vor diesem Thema zurückzuschrecken. "Denn damit machen wir uns zu den Handlangern derer, die Frauenrechte zur Disposition stellen", so die 31-Jährige. "Unsere Antwort ist mehr Selbstbestimmung und Freiheit." 

Am Montag sind Expertinnen und Experten in den für das Thema zuständigen Rechtsausschuss des Bundestags geladen, um ihre Einschätzungen zu dem Thema abzugeben. Eine Gruppe Parlamentarier von SPD, Grünen und Linken hat einen Gesetzentwurf eingebracht, der eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten zwölf Wochen vorsieht. Die Befürworter wollen erreichen, dass der Entwurf nach dieser Sachverständigenanhörung ins Plenum überwiesen wird – und darüber dann am letzten Tag der Legislatur noch im Bundestag abgestimmt würde.

Abtreibungen sind in Deutschland in einem einigermaßen komplizierten rechtlichen Konstrukt festgeschrieben. Sie stehen im Strafgesetzbuch und sind grundsätzlich verboten, mit einer wichtigen Sonderregelung: Bevor der Fötus zwölf Wochen alt ist, bleibt die Abtreibung ohne Strafe, das heißt, niemand wird dafür vor Gericht gestellt. Die Ampel-Regierung hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, eine andere rechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs zu "prüfen". Eine dazu eingesetzte Expertenkommission hatte empfohlen, die jetzige Regelung zu ändern. 

Daraufhin hat eine Gruppe Parlamentarier um die Grünen-Politikerin Ulle Schauws und die SPD-Politikerin Carmen Wegge begonnen, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten. Sie hatten sich erhofft, für die Erarbeitung und Abstimmung mehr Zeit zu haben, doch dann zerbrach die Ampel-Regierung. Die Initiative, unter anderem auch unterschrieben von Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne), wurde im November noch in den Bundestag eingebracht. Seitdem liegt diese im dafür zuständigen Rechtsausschuss.

"Immer wieder höre ich, dass der Paragraf 218 in seiner jetzigen Form ein guter Kompromiss sei", sagt Ricarda Lang. Doch die Realität sehe anders aus. "Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen führt unter anderem dazu, dass dieser Eingriff an Universitäten nicht gelehrt wird und es viel zu wenig Ärzte gibt, die Abbrüche vornehmen." Die Regelung im Strafgesetzbuch gefährde die Gesundheitsversorgung für Frauen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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CDU sieht den Status des ungeborenen Menschen "missachtet"

Doch Union und FDP sind dagegen, über das Thema noch in dieser Legislatur abzustimmen. Sie argumentieren, dass die Beratungszeit bei einem so wichtigen Thema zu kurz sei. "Die Befürworter dieses Antrags scheinen eine gründliche Diskussion zu vermeiden und wollen ihre Ziele im Schnellverfahren durchsetzen", sagt der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings, dem stern. Das sei unangemessen. "Die Antragsteller müssten selbst Interesse an einer gründlichen Diskussion haben, damit ihr Entwurf auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben könnte."

Die Union stört sich allerdings nicht nur an dem Zeitpunkt der Abstimmung, sondern positioniert sich auch ganz generell gegen eine Änderung des Abtreibungsrechts. "Unsere Verfassung schützt auch das ungeborene Leben, und deshalb folgt unser Strafgesetzbuch einem Lebensschutzkonzept", sagt Krings. "Dies ist für uns aus ethischen Gründen unverzichtbar und auch verfassungsrechtlich notwendig." Für eine Änderung sieht er keinen Bedarf, da der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen bereits "entkriminalisiert" sei, wenn die Schwangere sich zuvor hat beraten lassen und eine dreitägige Wartefrist eingehalten wurde. "Eine Herausnahme aus dem Strafgesetzbuch, wie im Gruppenantrag vorgeschlagen, würde bedeuten, dass die Regelungen zum Schutz des ungeborenen Lebens weniger wichtig sind", sagt Krings. Der Status des ungeborenen Menschen werde damit "missachtet".

Die Befürworter einer Änderung werfen der Union vor, die Beratungen über den Entwurf im Verfahren so verzögert zu haben, dass die notwendige Sachverständigenanhörung nun erst am vorletzten Tag, an dem eine Abstimmung noch möglich wäre, stattfinden kann – und das von 17 bis 20 Uhr. Sie unterstellen der Union das Kalkül, um jeden Preis verhindern zu wollen, dass es noch zu einer Abstimmung im Plenum kommen kann. 

Mehrheit der Deutschen für andere Rechtslage

Dort wäre zwar ungewiss, wie genau das Ergebnis ausfällt. Aber es könnte für eine knappe Mehrheit reichen. Im Bundestag gibt es 733 Sitze, für eine Mehrheit braucht es damit 367 Stimmen. SPD, Grüne, Linke und BSW – allesamt Parteien, die sich für eine Reform ausgesprochen haben – kommen auf 362 Sitze. Es fehlten also fünf Stimmen. Es ist nicht unrealistisch, dass die von einzelnen Abgeordneten der FDP kommen könnten. Denn dort sehen es einige auch so, dass es eine andere rechtliche Regelung bräuchte, im November veröffentlichten 15 Liberale eine entsprechende Erklärung. Dort sagen sie allerdings auch, dass diese Reform in Ruhe nach der nächsten Wahl erfolgen solle. Allerdings haben zwei FDP-Abgeordnete, Gyde Jensen und Thorsten Lieb, bereits öffentlich gesagt, dass sie mit "Ja" stimmen würden, wenn das Gesetz doch noch am Dienstag zur Abstimmung kommen würde.

In der Sitzung des Rechtsausschusses wird es am Montag hoch hergehen. SPD, Grüne und Linke wollen erreichen, dass es im Anschluss an die Sachverständigenanhörung noch zu einem Votum kommt, dass die Initiative in den Bundestag zur Abstimmung überstellt wird. Union und FDP werden sich dagegen aussprechen. Allerdings sind auch im Ausschuss die Mehrheiten so knapp verteilt, dass es schon reichte, wenn beispielsweise eine Abgeordnete der FDP nicht zur Sitzung auftauchte – dann könnte es zu einer Mehrheit in der Abstimmung kommen. 

Manche der Befürworter fürchten, dass eine mögliche Reform in der nächsten Legislatur noch schwieriger werden könnte – je nachdem, welche Partei bei den Bundestagswahlen wie viele Sitze zugeteilt bekommt. Im November sprachen sich 74 Prozent der Deutschen in einer repräsentativen Forsa-Umfrage für RTL/ntv dafür aus, Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der ersten zwölf Wochen ohne Einschränkung zu erlauben.