Sehr fröhlich dürfte die angeschlagene Berliner SPD-Führung, so es sie überhaupt noch gibt, nicht gen Erfurt blicken. Marschiert der thüringische Genossen Christoph Matschie doch überhaupt nicht auf Linie. Kümmert sich keinen Deut um jene Strategen in der Parteizentrale, deren Kleinhirn anderes als "Rot-Rot-Grün" nicht mehr denken mag. Verständlich es ist ja, dass die Berliner Zentrale Sorgenfalten zieht. Denn außer rot-rot und rot-rot-grün hat die Sozialdemokratie im Bund kaum eine Machtchance. Dafür aber braucht sie ein Modell auf Länderebene. Das sollte die Genossen jedoch nicht hindern, dem neuen politischen Ziel kühl kalkulierend entgegen zu streben.
Ein Blick auf das thüringische Wahlergebnis hilft. Die Wähler hatten genug vom selbstgefälligen Ministerpräsidenten Dieter Althaus, gaben seiner CDU jedoch einmal mehr die meisten Mandate im Landtag. Die Linkspartei liegt nur knapp dahinter, aber weit vor der SPD. FDP und Grüne müssen das Politgeschäft im Landtag erst mal auf schmaler Basis üben. Mit dem politischen Willen der Wähler zu vereinbaren ist damit entweder eine CDU-SPD-Koalition oder ein Linkspartei-SPD-Bündnis, allerdings mit schmalster Mehrheit, die vielleicht noch von den Grünen aufgestockt werden könnte.
Kampfabstimmung in der SPD
Die erstaunlich bizarren Transaktionen, die bislang die Herren Bodo Ramelow und Christoph Matschie wegen der Besetzung des Amts des Regierungschefs veranstaltet haben, sollte man nicht verdrängen. Was soll das für eine Regierung sein, die solch' abartige Postenschiebereien veranstaltet? Die Herren dürften wohl auch künftig besser miteinander streiten als zusammen regieren können.
Unterm Strich des bisherigen Geschachers um die Macht in Erfurt ist es daher zu begrüßen, dass sich jetzt CDU und SPD erst einmal zu Koalitionsgesprächen zusammensetzen. Finden sie eine ausreichende Basis, um die politischen Probleme des Landes zu lösen - weshalb sollten sie dann nicht koalieren? Dass Matschie nur nach einer Kampfabstimmung mit den eigenen Genossen in diese Richtung loslaufen darf, ist allerdings keine Vertrauen erweckende Geschäftsgrundlage.
Der Hilfsmotor der Linken
Was alle beteiligten Akteure offenbar übersehen: Das Land Thüringen hat einen Reform- und Nachholbedarf, der eine Wackel-Koalition egal welcher Zusammensetzung verbietet. Das föderative System darf nicht missbraucht werden für gesamtpolitische Strategien. Über Koalitionen muss auch in den Ländern am Ende auf der Ebene gemeinsamer Interessen entschieden werden. Die Linkspartei sollte sich unter dieser Voraussetzung davor hüten, der SPD hinterher zu rennen und eine Art Hilfsmotor für sie bei der Eroberung des Postens des Ministerpräsidenten zu spielen.
Die SPD andererseits darf sich auch unter dem Eindruck der Schlappe bei der Bundestagswahl nicht darauf einlassen, jedwede Machtoption ämtergeil anzustreben. Rot-Rot kann im Saarland geboten sein, in Brandenburg kommt Rot-Schwarz wie bisher ebenso in Betracht wie Rot-Rot. Maßstab dieser Entscheidungen kann nur sein, wie die politisch effektivste Verbindung im Interesse des jeweiligen Landes aussieht. In der Berliner SPD-Führung ist man derzeit wild darauf erpicht, möglichst schnell und wo auch immer SPD-Ministerpräsidenten vorzuweisen. Das kann leicht schief gehen: Denn wenn rot-rote-Bündnisse in den Ländern zu überzeugender Reformarbeit nicht fähig sind, werden die Wähler im Bund erst recht nicht den Mut dafür finden.