Schlag 12 - der Mittagskommentar aus Berlin Zu feige, sich der AfD zu stellen

In drei Landesparlamenten sitzt die AfD nun schon. CDU und SPD aber wissen nicht, wie sie mit diesem politischen Phänomen umgehen sollen - sie reagieren hochnäsig und hasenfüßig. Also grundfalsch.

Ach, es ist ein Jammer. Da haben die Thüringer am Sonntag ihren neuen Landtag schon so wunderbar hinterfotzig zusammengewählt, aber zur letzten, größten und raffiniertesten Gemeinheit konnten sie sich dann doch nicht durchringen. Sie haben sich und uns damit um eine Menge lehrreichen Spaß gebracht. Es wäre ein mit Sicherheit großartiges Schauspiel geworden, wenn die AfD nur ein paar Zehntelprozent mehr Stimmen erhalten hätte und damit einen weiteren Sitz im Parlament. Dann hätte es nicht nur für Rot-Rot-Grün wie für Schwarz-Rot gereicht, auch eine Koalition aus CDU und AfD wäre möglich gewesen, wie die beiden anderen denkbaren Bündnisse mit nur einer Stimme Mehrheit ausgestattet. Hach. Beziehungsweise: Schade.

Man hätte schon gerne erlebt, wie die Thüringer CDU im Usain-Bolt-Tempo ihre rigorosen Absagen an die AfD über den Haufen geworfen hätte, um Rot-Rot-Grün zu verhindern, alles zum Wohle des Landes natürlich. Spiel’ nicht mit den Schmuddelkindern, sing’ nicht ihre Lieder hat in der Politik eine meist geringe Halbwertzeit. Der Zerfall betoniert scheinender Abscheu und Ablehnung beschleunigt sich dabei im umgekehrt proportionalen Verhältnis zu den schwindenden Machtaussichten. Seit langem schon hat die CDU deshalb ja auch wenig Probleme, im Osten auf lokaler und regionaler Ebene mit der Linken gemeinsame Sache zu machen. So wie sie im Westen schnell kommunale Bündnisse mit den offiziell noch geschnittenen Grünen schmiedete. Die Lichter sind nicht ausgegangen. Langfristig betrachtet hat es den Grünen mehr geschadet als der CDU.

Hochnäsig wie hasenfüßig

Nein, dies ist kein Plädoyer dafür, die AfD möglichst rasch an einer Regierung zu beteiligen, um sie zu entzaubern. Soweit muss man gar nicht gehen. Aber erinnert sei schon daran, dass es mal eine Schill-Partei gab, die eine ähnliche Wählerklientel ansprach wie heute die AfD. In Hamburg holte sie 20 Prozent der Stimmen, der Christdemokrat Ole von Beust bildete eine Koalition mit ihr, um ins Bürgermeisteramt zu kommen. Ein, freundlich umschrieben, umstrittener Akt. Aber was soll man sagen? Es hat Hamburg weit weniger geschadet als der Schill-Partei. Die ist längst in der Versenkung verschwunden.

Was man sich freilich wünschte, wäre ein gelassener und souveräner Umgang der anderen Parteien mit der AfD. Davon sind Union wie SPD weit entfernt. Sie gebärden sich gleichermaßen hochnäsig wie hasenfüßig. Dabei sind weder Angst noch Ignoranz gute Ratgeber in der politischen Auseinandersetzung. Die AfD ist weder eine terroristische Vereinigung noch eine Neonazi-Bande. Und Irre gibt es in jeder Partei. Man kann – und darf – in einer freien Gesellschaft sogar gegen den Euro sein. Diese Einstellung ist politisch und ökonomisch dumm, aber sie ist erlaubt. Es gibt sie zuweilen sogar in etablierten Parteien. Das christliche Abendland hat es bisher überstanden. Und was die echte oder vermeintliche rechtsextreme Gesinnung vieler AfD-Wähler angeht – die existierte auch ohne die AfD. Sie verschwände auch nicht, wenn die AfD plötzlich wieder verschwände. Es gibt keine guten und schlechten Stimmen. Eine Demokratie muss das aushalten. Unsere Demokratie kann das inzwischen auch ganz gut.

Ausgrenzen oder auseinandersetzen

Das Problem, das die anderen Parteien mit diesem ungeliebten neuen Konkurrenten in ihrem Kreis haben, ist denn auch weniger ein inhaltliches. Es ist ein machttaktisches. Bleibt die AfD auf Dauer, wird es künftig noch schwieriger, Mehrheiten zu bilden. Es ist legitim, einen politischen Gegner zu bekämpfen. Ihn auszugrenzen und zu stigmatisieren ist allerdings nicht klug; es sei denn, man will die AfD weiter mästen. Ausgrenzung führt zu Solidarisierung. Und Wähler haben ein feines Gespür dafür, ob man sich auseinandersetzt oder ausgrenzt. In Thüringen, Brandenburg und Sachsen haben übrigens 95 Prozent der Wahlberechtigten NICHT AfD gewählt. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Die Hälfte dieser 95 Prozent hat auch keine der anderen Parteien gewählt. Sie haben gar nicht gewählt. Das heißt aber auch: Jeder könnte sie für sich gewinnen.

Wer die AfD wieder so klein kriegen will wie sie es verdient, sollte sich deshalb auf die Grundtugenden des politischen Geschäfts besinnen. Dazu gehören weder beschimpfen noch totschweigen noch nach dem Mund reden. Sondern gute, überzeugende Argumente, erfolgreiche Arbeit und glaubwürdiges Personal. So einfach ist das. Und so offenkundig schwer.

Andreas Hoidn-Borchers hat eigentlich keine Lust, sich über Idioten Gedanken zu machen. Muss es als politischer Journalist aber immer wieder. Er twittert unter ahborchers