Sigmar Gabriel ist außer sich. "Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine Regierung die Sicherheit der Bevölkerung so dreist verkauft", zeterte der SPD-Chef am Donnerstag mit Gespräch mit der Nachrichtenagentur DPA. Grund der verbalen Attacke: Die Bundesregierung hat in dem Vertrag mit den Betreibern der Atomkraftwerke in Deutschland weitreichende Schutzklauseln zugesichert. Sie machen den ohnehin umstrittenen Atom-Beschluss, der am vergangenen Sonntag gefällt wurde, noch diskutabler.
In der im Internet zur Verfügung gestellten Eckpunktevereinbarung sind die Kosten für die mögliche Nachrüstung auf 500 Millionen Euro je Kernkraftwerk begrenzt worden. Demnach mindern sich die Beiträge der Industrie für den neuen Ökofonds, in dem regenerative Energien gefördert werden, wenn neue Nachrüstungs- oder Sicherheitsanforderungen die Summe von 500 Millionen überstiegen. Dies gelte ab dem 6. September - dem Tag nach den Verhandlungen im Kanzleramt - gestellte Anforderungen. Zudem würden sich die Zahlungen der Konzerne für den neuen Ökostrom-Fonds reduzieren, wenn eine künftige Regierung die 2016 auslaufende Brennelementesteuer verlängern oder erhöhen will.
In diesem Punkt haben die schwarz-gelbe Koalition und die Atombetreiber Eon, RWE, EnBW sowie Vattenfall eine Sperre eingebaut, um Rot-Grün oder einer anderen Regierungskoalition im Fall eines möglichen Wahlsiegs Änderungen am Atompaket für längere Laufzeiten zu erschweren. So heißt es in dem der DPA vorliegenden Vertrag, dass die für die kommenden Jahre zugesagten Öko-Förderbeiträge sich verringern, "wenn eine Kernbrennstoffsteuer für eine längere Dauer als in den Jahren 2011 bis 2016 erhoben oder wenn eine anderweitige Steuer, Abgabe oder sonstige Belastung eingeführt, begründet oder erhöht wird".
Grüne springen Gabriel zur Seite
Die Grünen kritisierten die Vereinbarungen so heftig wie SPD-Chef Gabriel. "Die Bundesregierung hat sich die Sicherheit der AKW für Geld abkaufen lassen" sagte die stellvertretende Faktionsvorsitzende Bärbel Höhn am Donnerstag in Berlin. "Umweltminister Röttgen wollte pro Meiler Nachrüstkosten von 1,2 Milliarden Euro durchsetzen. Jetzt wurden die Sicherheitsanforderungen offenbar mehr als halbiert", monierte Höhn. "Das sieht nach einem verdammt schmutzigen Deal aus."
Schon die Tatsache, dass von einem Geheimvertrag die Rede war, hatte den ganzen Tag über für Wirbel in Berlin gesorgt. Die "Süddeutsche Zeitung" hatte darüber berichtet. Höhn hatte angekündigt, ihre Partei werde eine Sondersitzung des zuständigen Umweltausschusses im Bundestag beantragen, um die Veröffentlichung zu erzwingen. "Es kann nicht sein, dass Nebenabsprachen bei der Laufzeitverlängerung im Halbdunkeln bleiben und man die heiklen Sachen ganz unter den Tisch fallen lässt."
Mit der Veröffentlichung beruhigte die Bundesregierung zumindest in dieser Hinsicht die Gemüter. Und immerhin: Bei steigenden Firmengewinnen werde auch der Förderbeitrag der Stromkonzerne für den Öko-Fonds erhöht. Allerdings erst ab 2017. Das würde die reduzierte Zahlung aufgrund der möglichen Verlängerung der Brennelementesteuer aufheben.