Gastbeitrag "Die Lage ist zu ernst, um 500 Milliarden zu versenken"

  • von Katharina Dröge und Britta Haßelmann
Tricks beim Sondervermögen: Katharina Dröge und Britta Haßelmann
Die Grünen-Politikerinnen Katharina Dröge (li.) und Britta Haßelmann fühlen sich beim Sondervermögen vom Kanzler getäuscht
© IMAGO/Chris Emil Janssen
Die Vorsitzenden der grünen Bundestagsfraktion werfen der Koalition in diesem Gastbeitrag Tricks beim Sondervermögen vor.

Es hätte ein Aufbruch für Deutschland werden sollen: 500 Milliarden Euro an Krediten. 500 Milliarden Euro für Investitionen, für den wirtschaftlichen Aufschwung. 500 Milliarden Euro für ein Land, das einfach funktioniert. Für neue Schienen, damit die Bahn endlich pünktlich kommt. Für Schulen, in denen Kinder gerne lernen. Für Schwimmbäder, die für alle offen und attraktiv sind.

Vielmehr noch, es hätte ein Aufbruch für Deutschland werden müssen. Denn mit dem "Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität" haben wir Grüne der schwarz-roten Koalition Möglichkeiten eröffnet, von der die Vorgängerregierungen nur haben träumen können. 

Nun sehen wir allerdings, dass die Regierung Merz diese große Chance einfach verschenkt. Statt in das Land zu investieren, steckt Merz einen relevanten Teil des Sondervermögens in teure Wahlversprechen der CSU.   

Unsere Botschaft an Friedrich Merz und Lars Klingbeil ist deutlich: Verspielen Sie diesen Aufbruch nicht! 

Unsere Botschaft an Friedrich Merz und Lars Klingbeil ist deutlich: Verspielen Sie diesen Aufbruch nicht! Das sagen Ihnen Experten und Expertinnen. Und das erwarten die Bürgerinnen und Bürger, die sehen, dass die Bahn nicht kommt, dass die Innenstädte verfallen, dass die Klimapolitik abgewickelt und die Zukunft ihrer Kinder geopfert wird.

Friedrich Merz mit den beiden grünen Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge im Bundestag
Friedrich Merz spricht. Hört er auch zu? Die Grünen-Fraktionvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge (re.) werfen ihm Haushaltstricks vor.
© Kay Nietfeld / dpa

Die Lage der Wirtschaft ist angespannt. Zu viele Menschen bangen gerade um ihre Jobs. Zu viele Unternehmen schreiben rote Zahlen. Deutschland braucht einen Wachstumsimpuls. Auch die EU braucht ihn, in ihrem größten Mitgliedsland.

Und genau diesen Impuls können die Investitionen aus dem Sondervermögen setzen – sofern sie richtig genutzt werden. Denn Investitionen in Brücken, Schienen und schnelles Internet machen nicht nur unser Leben in Deutschland besser. Sie sind die Grundlage dafür, dass die Unternehmen arbeiten können – dass sie neue Aufträge bekommen, Jobs sicher und Wirtschaftswachstum schaffen können. Das lohnt sich gleich mehrfach: Denn anders als bei Steuersenkungen für Reiche erhöht jeder Euro, den der Staat in Investitionen steckt, die Wirtschaftsleistung um deutlich mehr als nur einen Euro. Die Industrie, der Mittelstand und das Handwerk in Deutschland warten sehnsüchtig auf diesen Impuls.

In den Städten und Gemeinden zeigt sich besonders eindrücklich, was mangelnde Investitionen bedeuten. Die Kassen sind leer, sie müssen überall kürzen. Allein die deutschen Kommunen haben einen Investitionsstau von mehr als 200 Milliarden Euro. Kaputte Turnhallen, verlassene Gebäude in den Innenstädten und kein Geld für Jugendarbeit – das sind die Folgen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wenn Menschen in ihren Städten und Dörfern jetzt sehen, dass vieles nicht mehr funktioniert, gefährdet das den Glauben an den Staat. Wenn Orte der Begegnung verschwinden, schwindet auch der Zusammenhalt. Und die Unterstützung für unsere Demokratie.

Herr Merz und Herr Klingbeil – aus all diesen Gründen sind Sie in der Pflicht: Die Lage ist zu ernst, um 500 Milliarden Euro einfach so zu versenken.

Doch genau das tun Sie, genau das tut Schwarz-Rot gerade. Die Koalition verschiebt Ausgaben, die sie ohnehin geplant hatte, aus dem Bundeshaushalt in das Sondervermögen. Ohne dass daraus etwas Neues, Zusätzliches für unser Land entsteht. Dies passiert bei den Mitteln für die Schieneninfrastruktur, bei der Brückensanierung oder beim Glasfaserausbau.

Von den neun Milliarden für den Schienenausbau bleiben genau null Euro übrig, die zusätzlich sind.

 Vorhaben, die es schon vor der Einrichtung des Sondervermögens gab, werden jetzt verschoben und als neu verkauft. Bei den Investitionen in die Schiene zeigt sich das besonders deutlich. Klingbeil setzt im Sondervermögen für das Jahr 2025 neun Milliarden für die Schiene an. Doch genau diese neun Milliarden Euro standen schon vorher im Etat des Verkehrsministeriums. Von den neun Milliarden bleiben also genau null Euro übrig, die zusätzlich sind. Diesen Etikettenschwindel spüren als Erstes die Menschen am Bahnsteig, die sich auch in Zukunft über Verspätungen und Zugausfälle ärgern werden.

Ähnlich sieht es bei der wichtigen Erhaltung maroder Brücken und Tunnel aus. Im Sondervermögen sind dafür 2,5 Milliarden vorgesehen. Bei genauerem Blick lässt sich aber feststellen, dass 2,43 Milliarden davon schon längst verplant waren. Neu sind also gerade mal 70 Millionen.

Milliarden, die durch solche Manöver im regulären Haushalt frei werden, verbrät die Bundesregierung für CSU-Wahlgeschenke – sozusagen als Stillhalteprämie für Markus Söder – oder für Steuersenkungen für die Reichsten, das oberste Prozent.

Ob der Sachverständigenrat, der Bundesrechnungshof, die Gewerkschaften oder die Wirtschaft: Nahezu alle Expertinnen und Experten kritisieren diese Praxis scharf. In einer Anhörung im Haushaltsausschuss konnten selbst die eigenen Sachverständigen der schwarz-roten Koalition kein gutes Haar an den Tricks der Bundesregierung lassen.

Wenn Merz und Klingbeil so weiter tricksen, kann das kein Aufbruch für Deutschland werden.

Nehmen wir den Länderanteil raus, bleiben so am Ende für das Jahr 2025 von 29 Milliarden Euro Schulden gerade mal zehn Milliarden für zusätzliche Investitionen übrig. Diese erschreckende Quote zeigt: Wenn Merz und Klingbeil so weiter tricksen, kann das kein Aufbruch für Deutschland werden.

Wir finden: Die Herausforderungen im Land sind zu groß, als dass die Koalition diese Chance einfach ungenutzt verstreichen lassen darf! 

Es ist auch eine Frage der Generationengerechtigkeit, dass das Geld ordentlich investiert wird. Denn 500 Milliarden Euro an Schulden, die wir künftigen Generationen übertragen, sind nur dann gerechtfertigt, wenn daraus ein Mehrwert für die Zukunft entsteht. Wenn wir so investieren, dass wir unseren Kindern ein Land hinterlassen, in dem sie über Brücken fahren können, die saniert sind und nicht vom Einsturz bedroht. Ein Land mit einer klimagerechten, modernen Energieversorgung. Und mit einer starken und klimagerechten Wirtschaft, die innovativ ist und gute Jobs bietet. 

Wir haben diese Reform der Schuldenbremse im Deutschen Bundestag möglich gemacht. Und wir würden es wieder tun. Wir haben diese Entscheidung getroffen, in der vollen Überzeugung, dass es richtig ist, diese Kredite zu ermöglichen. Für eine bessere Zukunft! Für unser Land! Für Investitionen!

Wir haben diese Reform der Schuldenbremse auch deswegen möglich gemacht, weil wir die Bedrohung unserer Sicherheit durch Putin und andere Autokraten sehr ernst nehmen. Weil wir nicht riskieren wollten, dass Mehrausgaben für unsere Verteidigungsfähigkeit und Sicherheit an einem ideologischen Nein der Linken scheitern. 

Wir hätten es falsch gefunden, einer Regierung, der man selbst nicht angehört, aus parteitaktischen Motiven die Möglichkeit für eine bessere Politik zu nehmen. Aber eine bessere Politik, die müssen Union und SPD nun schon selbst machen. 

Klare Beschränkung des Sondervermögens auf zusätzliche Investitionen

Was wir fordern, ist eine klare Beschränkung des Sondervermögens auf zusätzliche Investitionen. So, wie es Merz dem Land versprochen hat. Jeder Euro muss da ankommen, wo er hingehört. Es gibt die Möglichkeit, aus dem Unsinn der letzten Monate zu lernen. Eine gute Politik ist nicht die, die keine Fehler macht. Sondern eine, die in der Lage ist, aus ihren Fehlern zu lernen. 

Deswegen ist unser Appell an Merz und Klingbeil: Schluss mit den Verschiebebahnhöfen und Tricksereien! Deutschland braucht den Aufbruch! Und Sie haben die Verantwortung, dass er gelingt. 

Deshalb muss der Bundeshaushalt 2026 ein anderer sein als der Bundeshaushalt 2025. Es geht darum, Vertrauen in den handlungsfähigen Staat wieder herzustellen. Es geht um die richtigen Prioritäten. 

Es ist noch nicht zu spät. Steuern Sie um.

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