Es war der letzte Schritt auf dem Weg hin zu einer großen Koalition. Mit einer überwältigenden Mehrheit haben die rund 500 Delegierten des SPD-Parteitags in Karlsruhe dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Nur etwa 15 Delegierte stimmten gegen die Vereinbarung, etwa fünf enthielten sich. Einstimmig billigte der Parteitag die Liste der designierten Minister, die in das Kabinett Merkel eintreten sollen. Der scheidende Partei-Chef Franz Müntefering erhielt zudem ein klarer Mandat dafür, in der großen Koalition das Amt des Vizekanzlers zu übernehmen - es gab nur eine einzige Gegenstimme. Diese soll nach Informationen der Nachrichtenagentur DPA von Christoph Zöpel stammen, dem ehemaligen Staatsminister im Auswärtigen Amt, der Münteferings Linie in vergangener Zeit häufiger kritisiert hatte.
Aufbruch zu einer Gratwanderung
Mit ihrem Votum für die Vereinbarung legt sich die SPD nun widerstrebend endgültig auf die große Koalition fest - und beginnt damit eine schwierige Gratwanderung zwischen Regierungszwängen und inhaltlicher und personeller Erneuerung. Der neuen Führung um den designierten Partei-Chef Matthias Platzeck und seinen designierten Generalsekretär Hubertus Heil muss die Partei auf Linie zu den Genossen im Kabinett halten - ihr aber gleichzeitig genug Spielraum für eine dringend benötigte Programmdebatte lassen.
"Wir können stolz sein auf unseren Franz Müntefering"
Vor den entscheidenden Abstimmungen über den Koalitionsvertrag, die Rolle Münteferings sowie die Minister-Riege hatte Platzeck in einem Redebeitrag für die große Koalition und den scheidenden Partei-Chef geworben. "Der Koalitionsvertrag beschreibt unser Modell des europäischen Sozialstaats", sagte Platzeck. Der Koalitionsvertrag verinnerliche die Erkenntnis, dass es ökonomischen Erfolg nur geben könne, wenn dieser von einem Zusammenhalt in der Gesellschaft flankiert werde.
Mit Bezug auf Müntefering sagte Platzeck, er hätte Müntefering gerne weiter in der Position des SPD-Chefs gesehen. Wenn es möglich wäre, sich einen Parteivorsitzenden zu schnitzen, dann wäre so einer wie Müntefering herausgekommen, sagte Platzeck. "Wir können stolz sein auf unseren Franz Müntefering." Er forderte die Partei auf, sich geschlossen hinter Müntefering zu stellen. "Lieber Franz, wir wollen jetzt in diese Abstimmung alles hineinlegen, was wir von dir halten - nämlich viel." Wie in den vergangenen Wochen auch forderte Platzeck eine neuen politischen Stil, der weniger auf gegenseitige Beleidigungen beruhe als vielmehr auf nüchterner Analyse, Vertrauen und einem "guten Geist".
Warnung vor möglicher Schwächung Platzecks
Einige Genossen hatten vor einem separaten Votum für Müntefering gewarnt. Dieses würde Müntefering in direkte Konkurrenz mit Platzeck bringen, der am Dienstag gewählt werden soll. Es wäre problematisch, wenn Platzeck ein schlechteres Ergebnis als Müntefering erhielte, hieß es. Müntefering hatte seinen Rückzug angekündigt, nachdem er im Vorstand eine Abstimmungsniederlage erlitten hatte. Bei der Neubesetzung der ganzen SPD-Spitze am Dienstag wird mit erneuten Debatten über die dadurch entstandene Führungskrise gerechnet. Dabei stehen mehrere Kandidaten - vor allem von der Linken - zur Wahl, die von vielen in der SPD für die Führungskrise mitverantwortlich gemacht werden.