Müntefering-Manöver Zweifel an Scholz: Plötzlich steht in der SPD die K-Frage im Raum

Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) und SPD-Urgestein Franz Müntefering
Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) und SPD-Urgestein Franz Müntefering beim Bundesparteitag im vergangenen Dezember
© Imago Images
Scholz auf dem Schleudersitz? SPD-Urgestein Franz Müntefering gibt einer heiklen Frage neues Futter, die der gestressten Partei gerade gar nicht ins Konzept passt. 

Opposition ist Mist, das sieht auch Olaf Scholz so. Nach der Schmach von 2017, als die SPD bei der Bundestagswahl ihr bislang schlechtestes Ergebnis von 20,5 Prozent einfuhr, zitierte der damalige Partei-Vize den legendären Ausspruch eines ebenso legendären Sozialdemokraten. Jedoch versehen mit dem kleinen Zusatz: "Aber Opposition gehört in der Demokratie dazu." 

Keine Panik, wir sind noch wer, bloß nicht die Nerven verlieren. Das war die Botschaft. Schon damals war Scholz ein Zweckoptimist.

Nun ist er Bundeskanzler – einer nervösen Partei, die sich wieder am demoskopischen Abgrund wähnt. In einer zerstrittenen Koalition, die sich wirklich alle Mühe gibt, die Wähler zu verschrecken. In einem Wahnsinnswahljahr, wo all das in einer Katastrophe enden könnte, nicht zuletzt auf der Oppositionsbank. In dieser hitzigen Gemengelage wirkt eine Frage geradezu als Brandbeschleuniger: Liegt’s vielleicht am Chef?

Aufgeworfen hat sie nun ausgerechnet SPD-Urgestein Franz Müntefering, ein altgedienter Sozialdemokrat, dessen Wort in der Partei Gewicht hat. Schließlich hat er sie jahrelang geprägt. Als Generalsekretär, Partei- und Fraktionschef, Arbeitsminister. Mit dem gern zitierten Satz: "Opposition ist Mist." Die SPD wolle regieren.

Für Müntefering, den Politiker mit ausgeprägtem Machtanspruch, sei die Kanzlerfrage für die Bundestagswahl 2025 "noch nicht beantwortet", wie er dem "Spiegel" sagte. Er sprach von "Prozessen", die sich in den Parteien abspielten, auch in der SPD. "Dann wird man sehen, zu welchem Ergebnis man kommt." 

Das Zwischenergebnis: Plötzlich steht die K-Frage wieder im Raum – und Unruhe ins Willy-Brandt-Haus.

Die Spekulationen, Scholz könnte als SPD-Kanzlerkandidat ausgetauscht werden, sind nicht neu. Das Geraune schlägt nur umso heftiger durch, je verfahrener sich die Lage für die Partei darstellt. Der Kanzler ist unbeliebt, die Ampel ist es auch, eine Trendumkehr zeichnet sich (noch immer) nicht ab. Das beflügelt die Fantasie mancher Genossen, im Wahlkampf 2025 vielleicht doch einen anderen Kandidaten ins Rennen zu schicken. Der mehr Zugkraft haben könnte. Wie Boris Pistorius zum Beispiel, der beliebte Verteidigungsminister. Gehört Parteisoldat "Münte" dazu?

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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In der SPD sind die Irritationen groß, zumal Müntefering wenig später im Talk-Studio von Markus Lanz einen "umsichtigen" und "zuversichtlichen" Kanzler lobte, der die ungleichen Ampel-Partner zusammenhalte. "Ein ganz anderer Typ als er könnte das gar nicht schaffen in so einer Konstellation", sagte er. Ja, was denn nun?

Olaf Scholz und die K-Frage: Alles halb so wild?

Anruf bei Ralf Stegner, noch einem SPD-Urgestein. "Das ist typisch Münte mit seinem kauzigen, sauerländischen Humor", sagt der Bundestagsabgeordnete dem stern. Müntefering habe noch nie zu den Leuten gehört, die Zwist zulasten der Parteiführung angezettelt hätten. 

"Ab und an will ‚der Alleiner‘ vielleicht ein bisschen wachrütteln", deutet Stegner die Aussagen des Mannes, der nur Partei kennt, aber keine Parteifreunde – und sich deshalb als "Alleiner" bezeichnet hatte. "Die Entscheidung ist formell noch nicht getroffen, da hat Franz Müntefering recht", stimmt Stenger zu, "aber Scholz ist gesetzt, eine Debatte über ihn als Kanzlerkandidaten gibt es nicht." 

Also alles halb so wild? Nicht wirklich.

In der SPD lodern viele kleine Feuerchen, die in Summe das Potenzial haben, zum unkontrollierten Großbrand zu werden. Schuldenbremse, Wehrpflicht, Industriepolitik. Selbst in der Mindestlohn-Debatte, die Scholz seiner Partei aufgezwungen hat, sendet die Partei unterschiedliche Signale aus. Dazu schwelen heikle Fragen, wie: Gehen erst die EU-Wahl, dann die drei Landtagswahlen in Ostdeutschland in die Hose? Fliegt die Koalition bei den Haushaltsverhandlungen auseinander? Eine Personaldebatte kann die Kanzlerpartei nicht auch noch gebrauchen, über den Kanzler der Partei schonmal gar nicht.

Kein Wunder also, dass auch die Parteispitze das Thema abgeräumt wissen will. Co-Parteichef Lars Klingbeil hielt jüngst mehrmals fest, dass Scholz der Kanzlerkandidat der SPD sei, ebenso Generalsekretär Kevin Kühnert, der im stern-Interview Scholz‘ offizielle Kandidatenkür für Sommer 2025 terminierte. Selbst Beliebtheitsminister Pistorius, der sich auffällig lange in der Rolle des angeblichen Reservekanzlers gefiel, stellte nun klar: "Wir haben einen hervorragenden Kanzler, und der wird auch der nächste Kanzlerkandidat sein." 

Die demonstrative Rückendeckung für Scholz dürfte auch dem Umstand geschuldet sein, dass längst nicht alle Genossen Scholz den Rücken decken. Zuletzt hatten sich mehrere SPD-Kommunalpolitiker vom Kanzler distanziert und das teils namentlich verbrieft: "Sehr viele an der SPD-Basis sagen: Pistorius ist ganz klar unsere Nummer Eins", sagte etwa Heiko Wittig, Fraktionschef der SPD im Landkreis Nordsachsen, zum "Tagesspiegel". Dort monierte auch Jörg Laftidis, Ortsvereinsvorsitzender in Bochum-Hamme, dass die Performance des Kanzlers "nicht die beste" sei. 

Die Hemmschwelle sinkt, Scholz‘ Eignung als Kanzler öffentlich infrage zu stellen. Müntefering könnte mit seinen Ausführungen dazu beitragen, dass die Wortmeldungen nach den Wahlen oder im Haushaltshandgemenge noch zunehmen.  

Scholz sei Kanzler und werde es auch nach der nächsten Bundestagswahl sein, sagt Jochen Ott, SPD-Fraktionsvorsitzender in Nordrhein-Westfalen, dem stern. Seine Leistungen seien in den vergangenen Wochen "zusehends stärker geworden", gerade in sozialpolitischen Themen habe er "entscheidende Pflöcke eingeschlagen", die sich positiv bemerkbar machen würden.  "Franz Müntefering ist ein sehr guter Mann", so Ott, "aber wir müssen ja nicht immer einer Meinung sein."