Frau Hubertz, wann haben Sie zum ersten Mal gedacht: Künstliche Intelligenz wird unser Leben verändern?
Das war vor meiner Zeit als Abgeordnete, als ich 2013 ein Start-up für ambitionierte Hobby-Köche gegründet habe. Da hat es schon vernetzte Haushaltsgeräte gegeben, die durch Künstliche Intelligenz einige Arbeitsschritte vorausdenken konnten: Wann kommt der Dampfstoß auf das Brot? Da ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, was auf uns zukommen könnte.
Nutzen Sie KI auch privat?
Ich habe mal einen Teil meines Urlaubs mit ChatGPT geplant.
Und Sie sind ans Ziel gekommen?
Ohne Probleme. Ich wollte eine Interrail-Reise machen und habe ChatGPT um eine Reiseroute gebeten – mit einigen Voraussetzungen: drei Länder, Berge, Meer und Zug fahren. Es hat verblüffend gut funktioniert. Klar, an der ein oder anderen Stelle habe ich nachgeholfen. Aber so verstehe ich Künstliche Intelligenz: als Werkzeug für Menschen – und nicht als Ersatz von menschlicher Leistung.
Schon mal ein mulmiges Gefühl bei KI gehabt?
Als ich mit Lars Klingbeil, meinem Parteivorsitzenden, vorletztes Jahr in China unterwegs war, wurde mir klar, dass KI auch reguliert werden muss. Überwachung und Gesichtserkennung gehen dort viel zu weit. Das Ausmaß ist teilweise erschreckend.
Künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant, praktisch täglich werden aus China und den USA neue Innovationen gemeldet. Die EU hat dem nun ein umfangreiches Regelwerk entgegengestellt. Was soll das?
Es ist gut, dass wir als erster Wirtschaftsraum den sogenannten "AI Act" entwickelt haben. Eben weil sich KI rasant entwickelt – und wir noch nicht genau wissen, wohin die Reise geht. Klare Leitplanken, was erlaubt ist und was nicht, schafft auch Rechtssicherheit für Unternehmen und Raum für Innovationen.
Wie würden Sie einem Laien den "AI Act" erklären?
Deutschland allein hat keine Chance, bei der Entwicklung von KI mitzuhalten. Deswegen bündeln wir als EU unsere Kräfte und stellen Spielregeln auf, die unseren Unternehmen Sicherheit geben sollen – die sie in den USA und China aktuell nicht haben. Auch Nutzer profitieren von den Regeln. Ein Beispiel: Wir werden KI als solche kennzeichnen, sozusagen ein digitales Wasserzeichen einführen. So weiß jeder, ob er es im Chat-Austausch mit seiner Bank oder Krankenkasse gerade mit einem Menschen zu tun hat – oder mit einem intelligenten Bot.
Verliert Deutschland durch umfassende Regulierungen nicht den Anschluss?
Natürlich gibt es auch Unternehmerinnen und Gründer, die sagen: Lasst mich halt einfach machen. Aber Politik ist auch dafür da, das Gesamtbild mitzudenken und nicht nur die wirtschaftliche Komponente. Der Verbraucherschutz ist genauso wichtig. Und wie alle Gesetze wird auch der "AI Act" regelmäßig evaluiert. Sollten wir merken: Mensch, da haben wir aber über die Stränge geschlagen, alle anderen laufen uns den Rang ab – dann werden wir das auch überarbeiten.

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"Künstliche Intelligenz wird zum Standort-Faktor"
Wie wichtig ist KI für die deutsche Wirtschaft?
Künstliche Intelligenz wird zum Standort-Faktor, deswegen ist es so wichtig. Wir sind zwar eine stolze Industrienation, müssen aber einsehen: In anderen Ländern kann günstiger produziert werden. Da müssen wir mithalten, und KI kann uns dabei helfen. Sie kann die Produktion am Fließband effizienter machen, fehlende Fachkräfte ausgleichen und die Forschung vorantreiben.
In den USA werden eine halbe Billion Dollar ins KI-Projekt "Stargate" gesteckt. Summen, bei denen Deutschland und Europa doch niemals mithalten können, oder? Was muss uns der KI-Boom wert sein?
Eine Firma wie Celonis zeigt den Weg, dass wir auch in Deutschland große Unternehmen im KI-Bereich bauen können. Von staatlicher Seite sollten wir entsprechend im Bereich Wachstumskapital und Datenzentren nachlegen, denn zu viel Geld kommt noch von außerhalb Europas. Da kann "Stargate" ein Vorbild sein, und als Europäische Union können wir mithalten. Und wir brauchen pragmatische Programme, die KI im Mittelstand in die Anwendung bringen. Da liegt ein riesiges Potenzial drin.
Wo verorten Sie Deutschland im internationalen Vergleich?
Ich würde sagen, wir sind im oberen Mittelfeld. Jetzt kommt es darauf an, dass KI auch in der Fläche angewendet wird – nicht nur in Großunternehmen. Wir sind ein Mittelstandsland, haben viele Kleinunternehmer, die vom Einsatz von KI noch überzeugt werden müssen. Hier sehe ich das größte Problem und die größte Chance.
Wie meinen Sie das?
Viele Menschen haben keine Lust auf Veränderung, weil sie unsicher sind oder Angst haben. Deutschland ist eine Risikonation. Das habe ich in meiner Zeit als Unternehmerin gemerkt: Meine damaligen Kunden haben mir immer gesagt, warum etwas nicht geht. Anstatt die Vorteile und Chancen zu sehen. Das kriegen die Amerikaner besser hin als wir.
Es braucht also einen Mentalitätswechsel?
Diese Technologie birgt gewaltige Potenziale, wenn wir sie auch zulassen. So könnte eine KI schonmal aufs Röntgenbild schauen, bevor es der Arzt tut – und dabei möglicherweise Dinge entdecken, die das menschliche Auge gar nicht sehen kann. Ähnliches gilt für das Auto in der Werkstatt oder das Problem am Produktionsband. Damit kann Künstliche Intelligenz nicht nur Wirtschaftlichkeit schaffen, sondern auch Sicherheit. Dieses Mindset müssen wir durchsetzen.
"Natürlich gehört zum technologischen Wandel, dass sich Arbeitsplätze verändern werden"
Erstmal bräuchte es hierzulande wettbewerbsfähige KI-Unternehmen, die nicht den Anschluss zu den USA und China verlieren. Wie attraktiv ist Deutschland für KI-Gründer, wo ruckelt’s noch?
Das Wichtigste sind die Menschen, die das Unternehmen aufbauen. Ich glaube, wir können als Deutschland von unseren Stärken profitieren. Wenn in den USA ein wild gewordener Trump ausländische Fachkräfte und Investoren mit seiner erratischen Art verschreckt, dann sind Stabilität und politische Mäßigung ein internationaler Wettbewerbsvorteil. Woran es noch ruckelt, ist das Wagniskapital, um globale Marktführer zu etablieren. Da brauchen wir den großen Schwung. Mit einem "Deutschlandfonds" wollen wir Milliarden an Geldern mobilisieren.
Was halten Sie den Apokalyptikern entgegen, die davor warnen, dass KI uns allen die Arbeitsplätze kosten wird?
Wir werden in der Zukunft zwei Dinge nicht ersetzen können: Herz und Hand. KI ist ein Werkzeug, das den Menschen dient – nicht andersherum. Natürlich gehört zum technologischen Wandel, dass sich Arbeitsplätze verändern werden: Als die Dampfmaschine erfunden wurde, hat niemand mehr aus purer Freude an der Geduld seine Güter vom Pferd ziehen lassen. Das bringt Fortschritt mit sich – und den dürfen wir nicht verpassen. Deutschland ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Noch. Wenn wir jetzt nicht springen, werden es andere tun.
Doch die Sorge vor dem Jobverlust ist real. Und ausgerechnet die SPD soll sagen: alles halb so wild?
Nein. Wenn ein Job wegfällt, müssen Betroffene auch Alternativen haben. Indem sie im Unternehmen woanders zum Einsatz kommen oder sich fortbilden können. Das ist doch klar. Wir erleben es schon jetzt bei der Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft, sei es im Kohlerevier oder in der Ölraffinerie. Auch für diese Menschen müssen wir Perspektiven entwickeln. Nach dem Motto: Das, was war, kann zwar nicht mehr sein. Aber das, was sein wird, kann noch viel besser werden.
"Hier wird es gefährlich"
Müsste das SPD-Motto nicht lauten: Wenn Arbeitsplätze durch KI wegfallen, dann sind wir raus?
Ich finde, mit dem "AI Act" haben wir die Risiken erstmal gut adressiert. Ja, es werden Arbeitsplätze wegfallen. Aber es werden auch neue Jobs entstehen. Vor allen Dingen müssen wir uns ehrlich machen. Wir haben gerade zu wenig Arbeitskräfte. Künstliche Intelligenz wird erstmal dabei helfen, Standorte zu bewahren, die händeringend nach Fachkräften suchen.
Durch KI ist es so einfach wie noch nie, gefälschte Nachrichten oder Bilder zu erstellen. Wie gefährlich ist KI für die Demokratie, insbesondere jetzt kurz vor der Bundestagswahl?
Fake News und Stimmungsmache im Netz, die von Bots und nicht unmittelbar von Menschen ausgeht, haben wir schon in Wahlkämpfen erlebt. Dafür braucht es keine Künstliche Intelligenz. Neu ist, dass durch KI ganze Texte und Bilder hergestellt werden können, die zwar echt anmuten, es aber nicht sind. Hier wird es gefährlich.
Was besorgt Sie besonders?
Die Zeiten, in denen wir uns zu hundert Prozent auf Bild- oder Videoaufnahmen verlassen konnten, sind vorbei. Das ist eine große Herausforderung, die schon in der Schule angepackt werden muss. Stichwort: Medienkompetenz. Außerdem müssen wir unsere Justiz stärken, damit der digitale Raum kein rechtsfreier Raum wird. Und nicht zuletzt ist Politik gefragt. Die Kennzeichnung von KI-Inhalten ist da nur ein erster Schritt.