Stichwort: ver.di Bewährungsprobe für Bsirske

Seit Beginn der 80er helfen Schlichter bei Tarifstreitigkeiten im öffentlichen Dienst. Damals wie heute sperren sich Arbeitgeber gegen ihre Kompromissvorschläge. Jetzt muss ver.di-Chef Frank Bsirske sich beweisen.

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) ist mit rund drei Millionen Mitgliedern die größte freie Einzelgewerkschaft der Welt. Nur Chinas Staatsgewerkschaft hat mehr Mitglieder. ver.di entstand im März 2001 aus dem Zusammenschluss der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) und vier DGB- Gewerkschaften: Der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), der Postgewerkschaft (DPG) und der IG Medien. Die Organisation vertritt mehr als 1000 Berufe.

Grüner Modernisierer Bsirske überzeugte


Für ver.di-Chef Frank Bsirske ist der derzeitige Tarifstreit im öffentlichen Dienst die erste große Bewährungsprobe. Die ver.di- Gründungsversammlung hatte den Diplom-Politologen vor zwei Jahren mit 96 Prozent der Stimmen zum ersten Vorsitzenden gewählt. Der 50- Jährige ist Mitglied der Grünen, gilt als Modernisierer und ist bei der Basis beliebt.

An fehlendem Zuspruch war sein Vorgänger als ÖTV-Chef, Herbert Mai, gescheitert. Mai hatte den ÖTV-Mitgliedern die Gewerkschafts- Fusion nicht schmackhaft machen können. Nach einer Schlappe bei der ersten Abstimmung über die ver.di-Gründung überließ Mai Bsirske die Kandidatur für den Vorsitz. Erst Bsirske konnte die Gewerkschaft in einer mitreißenden Rede von der Notwendigkeit eines Zusammenschlusses überzeugen.

Schon Mais Vorgängerin Monika Wulf-Mathies hatte bei vielen ÖTV- Mitgliedern einen schweren Stand. Obwohl im Jahr 1992 nur 44 Prozent der Gewerkschaft für eine Beendigung des Streiks stimmten, erklärte die ÖTV-Führungsriege den Arbeitskampf für beendet. Zwei Jahre später trat Wulf-Mathies zurück.

Ihre politische Macht haben Gewerkschaften in der Vergangenheit mehrfach bewiesen. Anfang 1974 hatte die ÖTV trotz Wirtschaftskrise ungewöhnlich hohe Lohn- und Gehaltsaufstockungen von 15 Prozent gefordert, nachdem die Inflationsrate in Folge der Ölkrise damals auf fast sieben Prozent angestiegen war. Der einige Monate darauf zurückgetretene sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt verlor in den Verhandlungen stark an Ansehen. Er schaffte es nicht, eine mit der SPD eng verbundene Gewerkschaft wie die ÖTV auf die Sparpolitik der Regierung einzuschwören.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Chronologie der Schlichtungen

Seit Beginn der 80er Jahre konnten Tarifstreitigkeiten im öffentlichen Dienst mehrfach nur mit Hilfe von Schlichtern beigelegt werden. 1992 schlug der Versuch ebenso fehl wie 2002/2003. Damals wie heute sperrten sich die Arbeitgeber gegen den Kompromissvorschlag der Schlichter.

April 1982:

Das Duo Höcherl und Krause vermittelt erstmals mit Erfolg: Die Arbeitnehmer sollen 3,6 Prozent mehr erhalten, auch beim Urlaub gibt es Verbesserungen.

Mai 1983:

Höcherl und Krause legen einen Stufenplan mit Zuwächsen zwischen zwei und drei Prozent bis 1984 vor, der zwei Wochen später angenommen wird. Die Offerte der Arbeitgeber hatte vor dem elfwöchigen Tarifstreit bei zwei Prozent nach vier «Nullmonaten» gelegen. Forderung fünf Prozent.

März 1988:

Wichtigstes Ergebnis der Schlichtung unter Vorsitz von Ex-Bundesminister Hermann Höcherl (CSU) ist die etappenweise Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 38,5 Stunden bis 1990. Die stufenweisen Lohnerhöhungen (2,4 bis 1,4 Punkte) gelten für drei Jahre. Die Arbeitgeber verwerfen den Schiedspruch zunächst. Nicht stimmberechtigter Co-Schlichter war Krause.

April 1992:

Vergeblicher Vermittlungsversuch der früheren Innenminister Walter Krause (SPD, Baden-Württemberg) und Friedrich Zimmermann (CSU, Bund): Als die Arbeitgeber den Vorschlag von 5,4 Prozent ablehnen, kommt es zum Streik. Dessen Ergebnis entspricht im Prinzip dem Schlichtungsspruch. Die ÖTV hatte 9,5 Prozent verlangt. Der Arbeitskampf kostet sie rund 200 Millionen Mark.

Juni 1996:

Der Kompromiss von Wagner und Koschnick sieht eine Einmalzahlung und ab 1997 1,3 Prozent höhere Einkommen vor - über die gesamte Laufzeit von 20 Monaten rechnerisch ein Plus von knapp einem Prozent. Ausgangspunkt waren Forderungen von 4,5 Prozent beziehungsweise eine Nullrunde, längere Arbeitszeiten und Einschnitte bei der Lohnfortzahlung.

März 1998:

Koschnick und der frühere Mainzer Ministerpräsident Carl-Ludwig Wagner (CDU) empfehlen drei Prozent mehr Geld, nicht jedoch die zentrale Forderung der Gewerkschaften nach Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung. Die Arbeitgeber hatten eine Nullrunde verlangt. Sechs Tage später billigen ÖTV und DAG den Schiedsspruch.

Mai 2000:

Lehmann-Grube und Koschnick präsentieren ihren Vorschlag: Zunächst plus 1,8 Prozent, später weitere 2,2 Prozent mehr Einkommen. Erst in einer zweiten Serie von Urabstimmungen stimmen die Gewerkschaften zu. Ursprüngliche Forderung: fünf Prozent.

Januar 2003:

Der frühere Leipziger Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube und Hans Koschnick, Ex-Bürgermeister von Bremen (beide SPD) legen in Bremen ihren Einigungsvorschlag vor. Die Arbeitgeber machen aber Front gegen die aus ihrer Sicht nicht finanzierbare Schlichtungsempfehlung, die im Kern eine zweistufige Einkommenserhöhung von 2,4 Prozent und ein Jahr später von weiteren 0,6 Prozent vorsieht.

DPA